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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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in's Gebürg zu reiten, von daher ich dir auch jezt
schreibe, und wie ich in der Stube auf und ab
gehe, fallen mir seine Pistolen in die Augen. Borg
mir die Pistolen, sagt ich, zu meiner Reise. Meint-
wegen, sagt er, wenn du dir die Mühe geben willst
sie zu laden, bey mir hängen sie nur pro forma.
Jch nahm eine herunter, und er fuhr fort: Seit
mir meine Vorsicht einen so unartigen Streich ge-
spielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu
thun haben. Jch war neugierig, die Geschichte zu
wissen. Jch hielte mich, erzählte er, wohl ein Vier-
teljahr auf dem Lande bey einem Freunde auf, hat-
te ein paar Terzerolen ohngeladen und schlief ru-
hig. Einmal an einem regnigten Nachmittage, da
ich so müßig sizze, weis ich nicht wie mir einfällt:
wir könnten überfallen werden, wir könnten die
Terzerols nöthig haben, und könnten -- du weist
ja, wie das ist. Jch gab sie dem Bedienten, sie
zu puzzen, und zu laden, und der dahlt, mit den
Mädgen, will sie erschrökken, und Gott weis wie,
das Gewehr geht los, da der Ladstok noch drinn
stekt und schießt den Ladstok einem Mädgen zur
Maus herein, an der rechten Hand, und zerschlägt

ihr



in’s Gebuͤrg zu reiten, von daher ich dir auch jezt
ſchreibe, und wie ich in der Stube auf und ab
gehe, fallen mir ſeine Piſtolen in die Augen. Borg
mir die Piſtolen, ſagt ich, zu meiner Reiſe. Meint-
wegen, ſagt er, wenn du dir die Muͤhe geben willſt
ſie zu laden, bey mir haͤngen ſie nur pro forma.
Jch nahm eine herunter, und er fuhr fort: Seit
mir meine Vorſicht einen ſo unartigen Streich ge-
ſpielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu
thun haben. Jch war neugierig, die Geſchichte zu
wiſſen. Jch hielte mich, erzaͤhlte er, wohl ein Vier-
teljahr auf dem Lande bey einem Freunde auf, hat-
te ein paar Terzerolen ohngeladen und ſchlief ru-
hig. Einmal an einem regnigten Nachmittage, da
ich ſo muͤßig ſizze, weis ich nicht wie mir einfaͤllt:
wir koͤnnten uͤberfallen werden, wir koͤnnten die
Terzerols noͤthig haben, und koͤnnten — du weiſt
ja, wie das iſt. Jch gab ſie dem Bedienten, ſie
zu puzzen, und zu laden, und der dahlt, mit den
Maͤdgen, will ſie erſchroͤkken, und Gott weis wie,
das Gewehr geht los, da der Ladſtok noch drinn
ſtekt und ſchießt den Ladſtok einem Maͤdgen zur
Maus herein, an der rechten Hand, und zerſchlaͤgt

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[79/0079] in’s Gebuͤrg zu reiten, von daher ich dir auch jezt ſchreibe, und wie ich in der Stube auf und ab gehe, fallen mir ſeine Piſtolen in die Augen. Borg mir die Piſtolen, ſagt ich, zu meiner Reiſe. Meint- wegen, ſagt er, wenn du dir die Muͤhe geben willſt ſie zu laden, bey mir haͤngen ſie nur pro forma. Jch nahm eine herunter, und er fuhr fort: Seit mir meine Vorſicht einen ſo unartigen Streich ge- ſpielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu thun haben. Jch war neugierig, die Geſchichte zu wiſſen. Jch hielte mich, erzaͤhlte er, wohl ein Vier- teljahr auf dem Lande bey einem Freunde auf, hat- te ein paar Terzerolen ohngeladen und ſchlief ru- hig. Einmal an einem regnigten Nachmittage, da ich ſo muͤßig ſizze, weis ich nicht wie mir einfaͤllt: wir koͤnnten uͤberfallen werden, wir koͤnnten die Terzerols noͤthig haben, und koͤnnten — du weiſt ja, wie das iſt. Jch gab ſie dem Bedienten, ſie zu puzzen, und zu laden, und der dahlt, mit den Maͤdgen, will ſie erſchroͤkken, und Gott weis wie, das Gewehr geht los, da der Ladſtok noch drinn ſtekt und ſchießt den Ladſtok einem Maͤdgen zur Maus herein, an der rechten Hand, und zerſchlaͤgt ihr

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/79>, abgerufen am 04.12.2024.