Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



Lotten anbefohlen habe, wie seit der Zeit ein ganz
anderer Geist Lotten belebt, wie sie in Sorge für
ihre Wirthschaft und im Ernste eine wahre Mut-
ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne
thätige Liebe, ohne Arbeit verstrichen, und wie den-
noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtsinn sie nicht
verlassen habe. Jch gehe so neben ihm hin, und
pflükke Blumen am Wege, füge sie sehr sorgfältig
in einen Straus und -- werfe sie in den vor-
überfliessenden Strohm, und sehe ihnen nach wie
sie leise hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich
dir geschrieben habe, daß Albert hier bleiben, und
ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho-
fe erhalten wird, wo er sehr beliebt ist. Jn Ord-
nung und Emsigkeit in Geschäften hab ich wenig
eines gleichen gesehen.




Gewiß Albert ist der beste Mensch unter dem
Himmel, ich habe gestern eine wunderbare
Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab-
schied zu nehmen, denn mich wandelte die Lust an,

in's



Lotten anbefohlen habe, wie ſeit der Zeit ein ganz
anderer Geiſt Lotten belebt, wie ſie in Sorge fuͤr
ihre Wirthſchaft und im Ernſte eine wahre Mut-
ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne
thaͤtige Liebe, ohne Arbeit verſtrichen, und wie den-
noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtſinn ſie nicht
verlaſſen habe. Jch gehe ſo neben ihm hin, und
pfluͤkke Blumen am Wege, fuͤge ſie ſehr ſorgfaͤltig
in einen Straus und — werfe ſie in den vor-
uͤberflieſſenden Strohm, und ſehe ihnen nach wie
ſie leiſe hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich
dir geſchrieben habe, daß Albert hier bleiben, und
ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho-
fe erhalten wird, wo er ſehr beliebt iſt. Jn Ord-
nung und Emſigkeit in Geſchaͤften hab ich wenig
eines gleichen geſehen.




Gewiß Albert iſt der beſte Menſch unter dem
Himmel, ich habe geſtern eine wunderbare
Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab-
ſchied zu nehmen, denn mich wandelte die Luſt an,

in’s
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="diaryEntry">
        <p><pb facs="#f0078" n="78"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Lotten anbefohlen habe, wie &#x017F;eit der Zeit ein ganz<lb/>
anderer Gei&#x017F;t Lotten belebt, wie &#x017F;ie in Sorge fu&#x0364;r<lb/>
ihre Wirth&#x017F;chaft und im Ern&#x017F;te eine wahre Mut-<lb/>
ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne<lb/>
tha&#x0364;tige Liebe, ohne Arbeit ver&#x017F;trichen, und wie den-<lb/>
noch all ihre Munterkeit, all ihr Leicht&#x017F;inn &#x017F;ie nicht<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en habe. Jch gehe &#x017F;o neben ihm hin, und<lb/>
pflu&#x0364;kke Blumen am Wege, fu&#x0364;ge &#x017F;ie &#x017F;ehr &#x017F;orgfa&#x0364;ltig<lb/>
in einen Straus und &#x2014; werfe &#x017F;ie in den vor-<lb/>
u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;enden Strohm, und &#x017F;ehe ihnen nach wie<lb/>
&#x017F;ie lei&#x017F;e hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich<lb/>
dir ge&#x017F;chrieben habe, daß Albert hier bleiben, und<lb/>
ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho-<lb/>
fe erhalten wird, wo er &#x017F;ehr beliebt i&#x017F;t. Jn Ord-<lb/>
nung und Em&#x017F;igkeit in Ge&#x017F;cha&#x0364;ften hab ich wenig<lb/>
eines gleichen ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="diaryEntry">
        <dateline> <hi rendition="#et">am 12. Aug.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">G</hi>ewiß Albert i&#x017F;t der be&#x017F;te Men&#x017F;ch unter dem<lb/>
Himmel, ich habe ge&#x017F;tern eine wunderbare<lb/>
Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab-<lb/>
&#x017F;chied zu nehmen, denn mich wandelte die Lu&#x017F;t an,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in&#x2019;s</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0078] Lotten anbefohlen habe, wie ſeit der Zeit ein ganz anderer Geiſt Lotten belebt, wie ſie in Sorge fuͤr ihre Wirthſchaft und im Ernſte eine wahre Mut- ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne thaͤtige Liebe, ohne Arbeit verſtrichen, und wie den- noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtſinn ſie nicht verlaſſen habe. Jch gehe ſo neben ihm hin, und pfluͤkke Blumen am Wege, fuͤge ſie ſehr ſorgfaͤltig in einen Straus und — werfe ſie in den vor- uͤberflieſſenden Strohm, und ſehe ihnen nach wie ſie leiſe hinunterwallen. Jch weis nicht, ob ich dir geſchrieben habe, daß Albert hier bleiben, und ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho- fe erhalten wird, wo er ſehr beliebt iſt. Jn Ord- nung und Emſigkeit in Geſchaͤften hab ich wenig eines gleichen geſehen. am 12. Aug. Gewiß Albert iſt der beſte Menſch unter dem Himmel, ich habe geſtern eine wunderbare Scene mit ihm gehabt. Jch kam zu ihm, um Ab- ſchied zu nehmen, denn mich wandelte die Luſt an, in’s

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/78
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/78>, abgerufen am 12.12.2024.