Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.kam, sie bewillkommte Lotten mit herzlicher Wärme, und ich muß sagen, sie gefiel mir nicht übel, eine rasche, wohlgewachsne Brünette, die einen die Kur- zeit über auf dem Lande wohl unterhalten hätte. Jhr Liebhaber, denn als solchen stellte sich Herr Schmidt gleich dar, ein feiner, doch stiller Mensch, der sich nicht in unsere Gespräche mischen wollte, ob ihn gleich Lotte immer herein zog, und was mich am meisten betrübte, war, daß ich an seinen Gesichtszügen zu bemerken schien, es sey mehr Ei- gensinn und übler Humor als Eingeschränktheit des Verstandes, der ihn sich mitzutheilen hinder- te. Jn der Folge ward dieß nur leider zu deut- lich, denn als Friedrike beym Spazierengehn mit Lotten und verschiedentlich auch mit mir gieng, wur- de des Herrn Angesicht, das ohne das einer bräun- lichen Farbe war, so sichtlich verdunkelt, daß es Zeit war, daß Lotte mich beym Ermel zupfte, und mir das Artigthun mit Friederiken abrieth. Nun verdrießt mich nichts mehr als wenn die Men- schen einander plagen, am meisten, wenn junge Leute in der Blüthe des Lebens, da sie am offen- sten für alle Freuden seyn könnten, einander die paar D 3
kam, ſie bewillkommte Lotten mit herzlicher Waͤrme, und ich muß ſagen, ſie gefiel mir nicht uͤbel, eine raſche, wohlgewachſne Bruͤnette, die einen die Kur- zeit uͤber auf dem Lande wohl unterhalten haͤtte. Jhr Liebhaber, denn als ſolchen ſtellte ſich Herr Schmidt gleich dar, ein feiner, doch ſtiller Menſch, der ſich nicht in unſere Geſpraͤche miſchen wollte, ob ihn gleich Lotte immer herein zog, und was mich am meiſten betruͤbte, war, daß ich an ſeinen Geſichtszuͤgen zu bemerken ſchien, es ſey mehr Ei- genſinn und uͤbler Humor als Eingeſchraͤnktheit des Verſtandes, der ihn ſich mitzutheilen hinder- te. Jn der Folge ward dieß nur leider zu deut- lich, denn als Friedrike beym Spazierengehn mit Lotten und verſchiedentlich auch mit mir gieng, wur- de des Herrn Angeſicht, das ohne das einer braͤun- lichen Farbe war, ſo ſichtlich verdunkelt, daß es Zeit war, daß Lotte mich beym Ermel zupfte, und mir das Artigthun mit Friederiken abrieth. Nun verdrießt mich nichts mehr als wenn die Men- ſchen einander plagen, am meiſten, wenn junge Leute in der Bluͤthe des Lebens, da ſie am offen- ſten fuͤr alle Freuden ſeyn koͤnnten, einander die paar D 3
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kam, ſie bewillkommte Lotten mit herzlicher Waͤrme,
und ich muß ſagen, ſie gefiel mir nicht uͤbel, eine
raſche, wohlgewachſne Bruͤnette, die einen die Kur-
zeit uͤber auf dem Lande wohl unterhalten haͤtte.
Jhr Liebhaber, denn als ſolchen ſtellte ſich Herr
Schmidt gleich dar, ein feiner, doch ſtiller Menſch,
der ſich nicht in unſere Geſpraͤche miſchen wollte,
ob ihn gleich Lotte immer herein zog, und was
mich am meiſten betruͤbte, war, daß ich an ſeinen
Geſichtszuͤgen zu bemerken ſchien, es ſey mehr Ei-
genſinn und uͤbler Humor als Eingeſchraͤnktheit
des Verſtandes, der ihn ſich mitzutheilen hinder-
te. Jn der Folge ward dieß nur leider zu deut-
lich, denn als Friedrike beym Spazierengehn mit
Lotten und verſchiedentlich auch mit mir gieng, wur-
de des Herrn Angeſicht, das ohne das einer braͤun-
lichen Farbe war, ſo ſichtlich verdunkelt, daß es
Zeit war, daß Lotte mich beym Ermel zupfte, und
mir das Artigthun mit Friederiken abrieth. Nun
verdrießt mich nichts mehr als wenn die Men-
ſchen einander plagen, am meiſten, wenn junge
Leute in der Bluͤthe des Lebens, da ſie am offen-
ſten fuͤr alle Freuden ſeyn koͤnnten, einander die
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/53>, abgerufen am 16.02.2025. |