Tänzer fiengen einen englischen an, und wie wohl mir's war, als sie auch in der Reihe die Figur mit uns anfieng, magst du fühlen. Tanzen muß man sie sehen. Siehst du, sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabey, ihr ganzer Körper, eine Harmonie, so sorglos, so unbefan- gen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände, und in dem Augenblikke gewiß schwindet alles andere vor ihr.
Jch bat sie um den zweyten Contretanz, sie sag- te mir den dritten zu, und mit der liebenswürdig- sten Freymüthigkeit von der Welt versicherte sie mich, daß sie herzlich gern deutsch tanzte. Es ist hier so Mode, fuhr sie fort, daß jedes paar, das zusammen gehört, beym Deutschen zusammen bleibt, und mein Chapeau walzt schlecht, und dankt mir's, wenn ich ihm die Arbeit erlasse, ihr Frauenzim- mer kann's auch nicht und mag nicht, und ich habe im Englischen gesehn, daß sie gut walzen, wenn sie nun mein seyn wollen fürs Deutsche, so gehn sie und bitten sich's aus von meinem Herrn, ich will zu ihrer Dame gehn. Jch gab ihr die Hand
drauf,
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Taͤnzer fiengen einen engliſchen an, und wie wohl mir’s war, als ſie auch in der Reihe die Figur mit uns anfieng, magſt du fuͤhlen. Tanzen muß man ſie ſehen. Siehſt du, ſie iſt ſo mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabey, ihr ganzer Koͤrper, eine Harmonie, ſo ſorglos, ſo unbefan- gen, als wenn das eigentlich alles waͤre, als wenn ſie ſonſt nichts daͤchte, nichts empfaͤnde, und in dem Augenblikke gewiß ſchwindet alles andere vor ihr.
Jch bat ſie um den zweyten Contretanz, ſie ſag- te mir den dritten zu, und mit der liebenswuͤrdig- ſten Freymuͤthigkeit von der Welt verſicherte ſie mich, daß ſie herzlich gern deutſch tanzte. Es iſt hier ſo Mode, fuhr ſie fort, daß jedes paar, das zuſammen gehoͤrt, beym Deutſchen zuſammen bleibt, und mein Chapeau walzt ſchlecht, und dankt mir’s, wenn ich ihm die Arbeit erlaſſe, ihr Frauenzim- mer kann’s auch nicht und mag nicht, und ich habe im Engliſchen geſehn, daß ſie gut walzen, wenn ſie nun mein ſeyn wollen fuͤrs Deutſche, ſo gehn ſie und bitten ſich’s aus von meinem Herrn, ich will zu ihrer Dame gehn. Jch gab ihr die Hand
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Taͤnzer fiengen einen engliſchen an, und wie wohl
mir’s war, als ſie auch in der Reihe die Figur
mit uns anfieng, magſt du fuͤhlen. Tanzen muß
man ſie ſehen. Siehſt du, ſie iſt ſo mit ganzem
Herzen und mit ganzer Seele dabey, ihr ganzer
Koͤrper, eine Harmonie, ſo ſorglos, ſo unbefan-
gen, als wenn das eigentlich alles waͤre, als wenn
ſie ſonſt nichts daͤchte, nichts empfaͤnde, und in
dem Augenblikke gewiß ſchwindet alles andere
vor ihr.
Jch bat ſie um den zweyten Contretanz, ſie ſag-
te mir den dritten zu, und mit der liebenswuͤrdig-
ſten Freymuͤthigkeit von der Welt verſicherte ſie
mich, daß ſie herzlich gern deutſch tanzte. Es iſt
hier ſo Mode, fuhr ſie fort, daß jedes paar, das
zuſammen gehoͤrt, beym Deutſchen zuſammen bleibt,
und mein Chapeau walzt ſchlecht, und dankt mir’s,
wenn ich ihm die Arbeit erlaſſe, ihr Frauenzim-
mer kann’s auch nicht und mag nicht, und ich
habe im Engliſchen geſehn, daß ſie gut walzen, wenn
ſie nun mein ſeyn wollen fuͤrs Deutſche, ſo gehn
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/37>, abgerufen am 21.02.2025.
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