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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774.

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dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger
Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sin-
nen, und ich lächle dann so träumend weiter in
die Welt.

Daß die Kinder nicht wissen, warum sie wol-
len, darinn sind alle hochgelahrte Schul- und Hof-
meister einig. Daß aber auch Erwachsene, gleich
Kindern, auf diesem Erdboden herumtaumeln, gleich-
wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wo-
hin sie gehen, eben so wenig nach wahren Zwekken
handeln, eben so durch Biskuit und Kuchen und
Birkenreiser regiert werden, das will niemand gern
glauben, und mich dünkt, man kann's mit Hän-
den greifen.

Jch gestehe dir gern, denn ich weis, was du
mir hierauf sagen möchtest, daß diejenige die glük-
lichsten sind, die gleich den Kindern in Tag hinein
leben, ihre Puppe herum schleppen, aus und an-
ziehen, und mit großem Respekte um die Schubla-
de herum schleichen, wo Mama das Zuckerbrod
hinein verschlossen hat, und wenn sie das gewünsch-
te endlich erhaschen, es mit vollen Bakken verzeh-
ren, und rufen: Mehr! das sind glükliche Ge-

schöpfe!



dunkler Begier, als in Darſtellung und lebendiger
Kraft. Und da ſchwimmt alles vor meinen Sin-
nen, und ich laͤchle dann ſo traͤumend weiter in
die Welt.

Daß die Kinder nicht wiſſen, warum ſie wol-
len, darinn ſind alle hochgelahrte Schul- und Hof-
meiſter einig. Daß aber auch Erwachſene, gleich
Kindern, auf dieſem Erdboden herumtaumeln, gleich-
wie jene nicht wiſſen, woher ſie kommen und wo-
hin ſie gehen, eben ſo wenig nach wahren Zwekken
handeln, eben ſo durch Biskuit und Kuchen und
Birkenreiſer regiert werden, das will niemand gern
glauben, und mich duͤnkt, man kann’s mit Haͤn-
den greifen.

Jch geſtehe dir gern, denn ich weis, was du
mir hierauf ſagen moͤchteſt, daß diejenige die gluͤk-
lichſten ſind, die gleich den Kindern in Tag hinein
leben, ihre Puppe herum ſchleppen, aus und an-
ziehen, und mit großem Reſpekte um die Schubla-
de herum ſchleichen, wo Mama das Zuckerbrod
hinein verſchloſſen hat, und wenn ſie das gewuͤnſch-
te endlich erhaſchen, es mit vollen Bakken verzeh-
ren, und rufen: Mehr! das ſind gluͤkliche Ge-

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[18/0018] dunkler Begier, als in Darſtellung und lebendiger Kraft. Und da ſchwimmt alles vor meinen Sin- nen, und ich laͤchle dann ſo traͤumend weiter in die Welt. Daß die Kinder nicht wiſſen, warum ſie wol- len, darinn ſind alle hochgelahrte Schul- und Hof- meiſter einig. Daß aber auch Erwachſene, gleich Kindern, auf dieſem Erdboden herumtaumeln, gleich- wie jene nicht wiſſen, woher ſie kommen und wo- hin ſie gehen, eben ſo wenig nach wahren Zwekken handeln, eben ſo durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiſer regiert werden, das will niemand gern glauben, und mich duͤnkt, man kann’s mit Haͤn- den greifen. Jch geſtehe dir gern, denn ich weis, was du mir hierauf ſagen moͤchteſt, daß diejenige die gluͤk- lichſten ſind, die gleich den Kindern in Tag hinein leben, ihre Puppe herum ſchleppen, aus und an- ziehen, und mit großem Reſpekte um die Schubla- de herum ſchleichen, wo Mama das Zuckerbrod hinein verſchloſſen hat, und wenn ſie das gewuͤnſch- te endlich erhaſchen, es mit vollen Bakken verzeh- ren, und rufen: Mehr! das ſind gluͤkliche Ge- ſchoͤpfe!

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 1. Leipzig, 1774, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther01_1774/18>, abgerufen am 18.12.2024.