Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine solche Nachbildung, wenn sie auch man¬
che mühsame Anordnung erfordert, bringt
dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor.

Schnell ward Luciane gewahr, daß sie
hier ganz in ihrem Fach seyn würde. Ihr
schöner Wuchs, ihre volle Gestalt, ihr regel¬
mäßiges und doch bedeutendes Gesicht, ihre
lichtbraunen Haarflechten, ihr schlanker Hals,
alles war schon wie aufs Gemälde berechnet;
und hätte sie nun gar gewußt, daß sie schöner
aussah wenn sie still stand als wenn sie sich
bewegte, indem ihr im letzten Falle manch¬
mal etwas störendes Ungraziöses entschlüpfte,
so hätte sie sich mit noch mehrerem Eifer die¬
ser natürlichen Bildnerey ergeben.

Man suchte nun Kupferstiche nach be¬
rühmten Gemälden; man wählte zuerst den
Belisar nach van Dyk. Ein großer und wohlge¬
bauter Mann von gewissen Jahren sollte den
sitzenden blinden General, der Architect den

Eine ſolche Nachbildung, wenn ſie auch man¬
che muͤhſame Anordnung erfordert, bringt
dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor.

Schnell ward Luciane gewahr, daß ſie
hier ganz in ihrem Fach ſeyn wuͤrde. Ihr
ſchoͤner Wuchs, ihre volle Geſtalt, ihr regel¬
maͤßiges und doch bedeutendes Geſicht, ihre
lichtbraunen Haarflechten, ihr ſchlanker Hals,
alles war ſchon wie aufs Gemaͤlde berechnet;
und haͤtte ſie nun gar gewußt, daß ſie ſchoͤner
ausſah wenn ſie ſtill ſtand als wenn ſie ſich
bewegte, indem ihr im letzten Falle manch¬
mal etwas ſtoͤrendes Ungrazioͤſes entſchluͤpfte,
ſo haͤtte ſie ſich mit noch mehrerem Eifer die¬
ſer natuͤrlichen Bildnerey ergeben.

Man ſuchte nun Kupferſtiche nach be¬
ruͤhmten Gemaͤlden; man waͤhlte zuerſt den
Beliſar nach van Dyk. Ein großer und wohlge¬
bauter Mann von gewiſſen Jahren ſollte den
ſitzenden blinden General, der Architect den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="87"/>
Eine &#x017F;olche Nachbildung, wenn &#x017F;ie auch man¬<lb/>
che mu&#x0364;h&#x017F;ame Anordnung erfordert, bringt<lb/>
dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor.</p><lb/>
        <p>Schnell ward Luciane gewahr, daß &#x017F;ie<lb/>
hier ganz in ihrem Fach &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Ihr<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ner Wuchs, ihre volle Ge&#x017F;talt, ihr regel¬<lb/>
ma&#x0364;ßiges und doch bedeutendes Ge&#x017F;icht, ihre<lb/>
lichtbraunen Haarflechten, ihr &#x017F;chlanker Hals,<lb/>
alles war &#x017F;chon wie aufs Gema&#x0364;lde berechnet;<lb/>
und ha&#x0364;tte &#x017F;ie nun gar gewußt, daß &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
aus&#x017F;ah wenn &#x017F;ie &#x017F;till &#x017F;tand als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
bewegte, indem ihr im letzten Falle manch¬<lb/>
mal etwas &#x017F;to&#x0364;rendes Ungrazio&#x0364;&#x017F;es ent&#x017F;chlu&#x0364;pfte,<lb/>
&#x017F;o ha&#x0364;tte &#x017F;ie &#x017F;ich mit noch mehrerem Eifer die¬<lb/>
&#x017F;er natu&#x0364;rlichen Bildnerey ergeben.</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;uchte nun Kupfer&#x017F;tiche nach be¬<lb/>
ru&#x0364;hmten Gema&#x0364;lden; man wa&#x0364;hlte zuer&#x017F;t den<lb/>
Beli&#x017F;ar nach van Dyk. Ein großer und wohlge¬<lb/>
bauter Mann von gewi&#x017F;&#x017F;en Jahren &#x017F;ollte den<lb/>
&#x017F;itzenden blinden General, der Architect den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0090] Eine ſolche Nachbildung, wenn ſie auch man¬ che muͤhſame Anordnung erfordert, bringt dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor. Schnell ward Luciane gewahr, daß ſie hier ganz in ihrem Fach ſeyn wuͤrde. Ihr ſchoͤner Wuchs, ihre volle Geſtalt, ihr regel¬ maͤßiges und doch bedeutendes Geſicht, ihre lichtbraunen Haarflechten, ihr ſchlanker Hals, alles war ſchon wie aufs Gemaͤlde berechnet; und haͤtte ſie nun gar gewußt, daß ſie ſchoͤner ausſah wenn ſie ſtill ſtand als wenn ſie ſich bewegte, indem ihr im letzten Falle manch¬ mal etwas ſtoͤrendes Ungrazioͤſes entſchluͤpfte, ſo haͤtte ſie ſich mit noch mehrerem Eifer die¬ ſer natuͤrlichen Bildnerey ergeben. Man ſuchte nun Kupferſtiche nach be¬ ruͤhmten Gemaͤlden; man waͤhlte zuerſt den Beliſar nach van Dyk. Ein großer und wohlge¬ bauter Mann von gewiſſen Jahren ſollte den ſitzenden blinden General, der Architect den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/90
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/90>, abgerufen am 25.11.2024.