Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

sie beyde zusammen und so heiter zu sehen:
denn man vernahm, des Grafen Gemahlinn
sey gestorben, und eine neue Verbindung werde
geschlossen seyn sobald es die Schicklichkeit
nur erlaube. Ottilie erinnerte sich jenes er¬
sten Besuchs, jedes Worts was über Ehe¬
stand und Scheidung, über Verbindung und
Trennung, über Hoffnung, Erwartung, Ent¬
behren und Entsagen gesprochen ward. Beyde
Personen, damals noch ganz ohne Aussichten,
standen nun vor ihr, dem gehofften Glück so
nahe, und ein unwillkührlicher Seufzer drang
aus ihrem Herzen.

Luciane hörte kaum, daß der Graf ein
Liebhaber von Musik sey, so wußte sie ein
Conzert zu veranstalten; sie wollte sich dabey
mit Gesang zur Guitarre hören lassen. Es
geschah. Das Instrument spielte sie nicht un¬
geschickt, ihre Stimme war angenehm; was
aber die Worte betraf, so verstand man sie
so wenig als wenn sonst eine deutsche Schöne

6 *

ſie beyde zuſammen und ſo heiter zu ſehen:
denn man vernahm, des Grafen Gemahlinn
ſey geſtorben, und eine neue Verbindung werde
geſchloſſen ſeyn ſobald es die Schicklichkeit
nur erlaube. Ottilie erinnerte ſich jenes er¬
ſten Beſuchs, jedes Worts was uͤber Ehe¬
ſtand und Scheidung, uͤber Verbindung und
Trennung, uͤber Hoffnung, Erwartung, Ent¬
behren und Entſagen geſprochen ward. Beyde
Perſonen, damals noch ganz ohne Ausſichten,
ſtanden nun vor ihr, dem gehofften Gluͤck ſo
nahe, und ein unwillkuͤhrlicher Seufzer drang
aus ihrem Herzen.

Luciane hoͤrte kaum, daß der Graf ein
Liebhaber von Muſik ſey, ſo wußte ſie ein
Conzert zu veranſtalten; ſie wollte ſich dabey
mit Geſang zur Guitarre hoͤren laſſen. Es
geſchah. Das Inſtrument ſpielte ſie nicht un¬
geſchickt, ihre Stimme war angenehm; was
aber die Worte betraf, ſo verſtand man ſie
ſo wenig als wenn ſonſt eine deutſche Schoͤne

6 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="83"/>
&#x017F;ie beyde zu&#x017F;ammen und &#x017F;o heiter zu &#x017F;ehen:<lb/>
denn man vernahm, des Grafen Gemahlinn<lb/>
&#x017F;ey ge&#x017F;torben, und eine neue Verbindung werde<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn &#x017F;obald es die Schicklichkeit<lb/>
nur erlaube. Ottilie erinnerte &#x017F;ich jenes er¬<lb/>
&#x017F;ten Be&#x017F;uchs, jedes Worts was u&#x0364;ber Ehe¬<lb/>
&#x017F;tand und Scheidung, u&#x0364;ber Verbindung und<lb/>
Trennung, u&#x0364;ber Hoffnung, Erwartung, Ent¬<lb/>
behren und Ent&#x017F;agen ge&#x017F;prochen ward. Beyde<lb/>
Per&#x017F;onen, damals noch ganz ohne Aus&#x017F;ichten,<lb/>
&#x017F;tanden nun vor ihr, dem gehofften Glu&#x0364;ck &#x017F;o<lb/>
nahe, und ein unwillku&#x0364;hrlicher Seufzer drang<lb/>
aus ihrem Herzen.</p><lb/>
        <p>Luciane ho&#x0364;rte kaum, daß der Graf ein<lb/>
Liebhaber von Mu&#x017F;ik &#x017F;ey, &#x017F;o wußte &#x017F;ie ein<lb/>
Conzert zu veran&#x017F;talten; &#x017F;ie wollte &#x017F;ich dabey<lb/>
mit Ge&#x017F;ang zur Guitarre ho&#x0364;ren la&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
ge&#x017F;chah. Das In&#x017F;trument &#x017F;pielte &#x017F;ie nicht un¬<lb/>
ge&#x017F;chickt, ihre Stimme war angenehm; was<lb/>
aber die Worte betraf, &#x017F;o ver&#x017F;tand man &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o wenig als wenn &#x017F;on&#x017F;t eine deut&#x017F;che Scho&#x0364;ne<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0086] ſie beyde zuſammen und ſo heiter zu ſehen: denn man vernahm, des Grafen Gemahlinn ſey geſtorben, und eine neue Verbindung werde geſchloſſen ſeyn ſobald es die Schicklichkeit nur erlaube. Ottilie erinnerte ſich jenes er¬ ſten Beſuchs, jedes Worts was uͤber Ehe¬ ſtand und Scheidung, uͤber Verbindung und Trennung, uͤber Hoffnung, Erwartung, Ent¬ behren und Entſagen geſprochen ward. Beyde Perſonen, damals noch ganz ohne Ausſichten, ſtanden nun vor ihr, dem gehofften Gluͤck ſo nahe, und ein unwillkuͤhrlicher Seufzer drang aus ihrem Herzen. Luciane hoͤrte kaum, daß der Graf ein Liebhaber von Muſik ſey, ſo wußte ſie ein Conzert zu veranſtalten; ſie wollte ſich dabey mit Geſang zur Guitarre hoͤren laſſen. Es geſchah. Das Inſtrument ſpielte ſie nicht un¬ geſchickt, ihre Stimme war angenehm; was aber die Worte betraf, ſo verſtand man ſie ſo wenig als wenn ſonſt eine deutſche Schoͤne 6 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/86
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/86>, abgerufen am 25.11.2024.