Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

verdrießlich, daß jede neue Bekanntschaft sich
auch immer mit seinem Unfall bekannt machen
sollte, daß er sich lieber versteckte, sich dem
Lesen und andern Studien ergab und ein für
allemal mit der Gesellschaft nichts wollte zu
schaffen haben.

Das Daseyn dieses jungen Mannes blieb
ihr nicht verborgen. Er mußte herbey, erst
in kleiner Gesellschaft, dann in größerer, dann
in der größten. Sie benahm sich anmuthiger
gegen ihn als gegen irgend einen andern, be¬
sonders wußte sie durch zudringliche Dienst¬
fertigkeit ihm seinen Verlust werth zu machen,
indem sie geschäftig war ihn zu ersetzen.
Bey Tafel mußte er neben ihr seinen Platz
nehmen, sie schnitt ihm vor, so daß er nur
die Gabel gebrauchen durfte. Nahmen Aeltere,
Vornehmere ihm ihre Nachbarschaft weg, so
erstreckte sie ihre Aufmerksamkeit über die
ganze Tafel hin, und die eilenden Bedienten
mußten das ersetzen was ihm die Entfernung

verdrießlich, daß jede neue Bekanntſchaft ſich
auch immer mit ſeinem Unfall bekannt machen
ſollte, daß er ſich lieber verſteckte, ſich dem
Leſen und andern Studien ergab und ein fuͤr
allemal mit der Geſellſchaft nichts wollte zu
ſchaffen haben.

Das Daſeyn dieſes jungen Mannes blieb
ihr nicht verborgen. Er mußte herbey, erſt
in kleiner Geſellſchaft, dann in groͤßerer, dann
in der groͤßten. Sie benahm ſich anmuthiger
gegen ihn als gegen irgend einen andern, be¬
ſonders wußte ſie durch zudringliche Dienſt¬
fertigkeit ihm ſeinen Verluſt werth zu machen,
indem ſie geſchaͤftig war ihn zu erſetzen.
Bey Tafel mußte er neben ihr ſeinen Platz
nehmen, ſie ſchnitt ihm vor, ſo daß er nur
die Gabel gebrauchen durfte. Nahmen Aeltere,
Vornehmere ihm ihre Nachbarſchaft weg, ſo
erſtreckte ſie ihre Aufmerkſamkeit uͤber die
ganze Tafel hin, und die eilenden Bedienten
mußten das erſetzen was ihm die Entfernung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="73"/>
verdrießlich, daß jede neue Bekannt&#x017F;chaft &#x017F;ich<lb/>
auch immer mit &#x017F;einem Unfall bekannt machen<lb/>
&#x017F;ollte, daß er &#x017F;ich lieber ver&#x017F;teckte, &#x017F;ich dem<lb/>
Le&#x017F;en und andern Studien ergab und ein fu&#x0364;r<lb/>
allemal mit der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nichts wollte zu<lb/>
&#x017F;chaffen haben.</p><lb/>
        <p>Das Da&#x017F;eyn die&#x017F;es jungen Mannes blieb<lb/>
ihr nicht verborgen. Er mußte herbey, er&#x017F;t<lb/>
in kleiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, dann in gro&#x0364;ßerer, dann<lb/>
in der gro&#x0364;ßten. Sie benahm &#x017F;ich anmuthiger<lb/>
gegen ihn als gegen irgend einen andern, be¬<lb/>
&#x017F;onders wußte &#x017F;ie durch zudringliche Dien&#x017F;<lb/>
fertigkeit ihm &#x017F;einen Verlu&#x017F;t werth zu machen,<lb/>
indem &#x017F;ie ge&#x017F;cha&#x0364;ftig war ihn zu er&#x017F;etzen.<lb/>
Bey Tafel mußte er neben ihr &#x017F;einen Platz<lb/>
nehmen, &#x017F;ie &#x017F;chnitt ihm vor, &#x017F;o daß er nur<lb/>
die Gabel gebrauchen durfte. Nahmen Aeltere,<lb/>
Vornehmere ihm ihre Nachbar&#x017F;chaft weg, &#x017F;o<lb/>
er&#x017F;treckte &#x017F;ie ihre Aufmerk&#x017F;amkeit u&#x0364;ber die<lb/>
ganze Tafel hin, und die eilenden Bedienten<lb/>
mußten das er&#x017F;etzen was ihm die Entfernung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0076] verdrießlich, daß jede neue Bekanntſchaft ſich auch immer mit ſeinem Unfall bekannt machen ſollte, daß er ſich lieber verſteckte, ſich dem Leſen und andern Studien ergab und ein fuͤr allemal mit der Geſellſchaft nichts wollte zu ſchaffen haben. Das Daſeyn dieſes jungen Mannes blieb ihr nicht verborgen. Er mußte herbey, erſt in kleiner Geſellſchaft, dann in groͤßerer, dann in der groͤßten. Sie benahm ſich anmuthiger gegen ihn als gegen irgend einen andern, be¬ ſonders wußte ſie durch zudringliche Dienſt¬ fertigkeit ihm ſeinen Verluſt werth zu machen, indem ſie geſchaͤftig war ihn zu erſetzen. Bey Tafel mußte er neben ihr ſeinen Platz nehmen, ſie ſchnitt ihm vor, ſo daß er nur die Gabel gebrauchen durfte. Nahmen Aeltere, Vornehmere ihm ihre Nachbarſchaft weg, ſo erſtreckte ſie ihre Aufmerkſamkeit uͤber die ganze Tafel hin, und die eilenden Bedienten mußten das erſetzen was ihm die Entfernung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/76
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/76>, abgerufen am 22.11.2024.