Man dringt in den Kammerdiener und dieser muß gestehen: das ächte Glas sey unlängst zerbrochen, und ein gleiches, auch aus Eduards Jugendzeit, untergeschoben worden. Eduard kann nicht zürnen, sein Schicksal ist ausge¬ sprochen durch die That: wie soll ihn das Gleichniß rühren? Aber doch drückt es ihn tief. Der Trank scheint ihm von nun an zu wider¬ stehen; er scheint sich mit Vorsatz der Speise, des Gesprächs zu enthalten.
Aber von Zeit zu Zeit überfällt ihn eine Unruhe. Er verlangt wieder etwas zu genie¬ ßen, er fängt wieder an zu sprechen. Ach! sagte er einmal zum Major, der ihm wenig von der Seite kam: was bin ich unglücklich, daß mein ganzes Bestreben nur immer eine Nachahmung, ein falsches Bemühen bleibt! Was ihr Seligkeit gewesen, wird mir Pein; und doch, um dieser Seligkeit willen, bin ich genöthigt diese Pein zu übernehmen. Ich muß ihr nach, auf diesem Wege nach; aber
II. 22
Man dringt in den Kammerdiener und dieſer muß geſtehen: das aͤchte Glas ſey unlaͤngſt zerbrochen, und ein gleiches, auch aus Eduards Jugendzeit, untergeſchoben worden. Eduard kann nicht zuͤrnen, ſein Schickſal iſt ausge¬ ſprochen durch die That: wie ſoll ihn das Gleichniß ruͤhren? Aber doch druͤckt es ihn tief. Der Trank ſcheint ihm von nun an zu wider¬ ſtehen; er ſcheint ſich mit Vorſatz der Speiſe, des Geſpraͤchs zu enthalten.
Aber von Zeit zu Zeit uͤberfaͤllt ihn eine Unruhe. Er verlangt wieder etwas zu genie¬ ßen, er faͤngt wieder an zu ſprechen. Ach! ſagte er einmal zum Major, der ihm wenig von der Seite kam: was bin ich ungluͤcklich, daß mein ganzes Beſtreben nur immer eine Nachahmung, ein falſches Bemuͤhen bleibt! Was ihr Seligkeit geweſen, wird mir Pein; und doch, um dieſer Seligkeit willen, bin ich genoͤthigt dieſe Pein zu uͤbernehmen. Ich muß ihr nach, auf dieſem Wege nach; aber
II. 22
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0340"n="337"/>
Man dringt in den Kammerdiener und dieſer<lb/>
muß geſtehen: das aͤchte Glas ſey unlaͤngſt<lb/>
zerbrochen, und ein gleiches, auch aus Eduards<lb/>
Jugendzeit, untergeſchoben worden. Eduard<lb/>
kann nicht zuͤrnen, ſein Schickſal iſt ausge¬<lb/>ſprochen durch die That: wie ſoll ihn das<lb/>
Gleichniß ruͤhren? Aber doch druͤckt es ihn tief.<lb/>
Der Trank ſcheint ihm von nun an zu wider¬<lb/>ſtehen; er ſcheint ſich mit Vorſatz der Speiſe,<lb/>
des Geſpraͤchs zu enthalten.</p><lb/><p>Aber von Zeit zu Zeit uͤberfaͤllt ihn eine<lb/>
Unruhe. Er verlangt wieder etwas zu genie¬<lb/>
ßen, er faͤngt wieder an zu ſprechen. Ach!<lb/>ſagte er einmal zum Major, der ihm wenig<lb/>
von der Seite kam: was bin ich ungluͤcklich,<lb/>
daß mein ganzes Beſtreben nur immer eine<lb/>
Nachahmung, ein falſches Bemuͤhen bleibt!<lb/>
Was ihr Seligkeit geweſen, wird mir Pein;<lb/>
und doch, um dieſer Seligkeit willen, bin ich<lb/>
genoͤthigt dieſe Pein zu uͤbernehmen. Ich<lb/>
muß ihr nach, auf dieſem Wege nach; aber<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II</hi>. 22<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[337/0340]
Man dringt in den Kammerdiener und dieſer
muß geſtehen: das aͤchte Glas ſey unlaͤngſt
zerbrochen, und ein gleiches, auch aus Eduards
Jugendzeit, untergeſchoben worden. Eduard
kann nicht zuͤrnen, ſein Schickſal iſt ausge¬
ſprochen durch die That: wie ſoll ihn das
Gleichniß ruͤhren? Aber doch druͤckt es ihn tief.
Der Trank ſcheint ihm von nun an zu wider¬
ſtehen; er ſcheint ſich mit Vorſatz der Speiſe,
des Geſpraͤchs zu enthalten.
Aber von Zeit zu Zeit uͤberfaͤllt ihn eine
Unruhe. Er verlangt wieder etwas zu genie¬
ßen, er faͤngt wieder an zu ſprechen. Ach!
ſagte er einmal zum Major, der ihm wenig
von der Seite kam: was bin ich ungluͤcklich,
daß mein ganzes Beſtreben nur immer eine
Nachahmung, ein falſches Bemuͤhen bleibt!
Was ihr Seligkeit geweſen, wird mir Pein;
und doch, um dieſer Seligkeit willen, bin ich
genoͤthigt dieſe Pein zu uͤbernehmen. Ich
muß ihr nach, auf dieſem Wege nach; aber
II. 22
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/340>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.