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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Die Einsamkeit macht nicht die Freystatt,
liebe Tante, versetzte Ottilie. Die schätzens¬
wertheste Freystatt ist da zu suchen, wo wir
thätig seyn können. Alle Büßungen, alle
Entbehrungen sind keineswegs geeignet uns
einem ahndungsvollen Geschick zu entziehen,
wenn es uns zu verfolgen entschieden ist. Nur,
wenn ich im müßigen Zustande der Welt zur
Schau dienen soll, dann ist sie mir wider¬
wärtig und ängstigt mich. Findet man mich
aber freudig bey der Arbeit, unermüdet in
meiner Pflicht, dann kann ich die Blicke eines
Jeden aushalten, weil ich die göttlichen nicht
zu scheuen brauche.

Ich müßte mich sehr irren, versetzte Char¬
lotte, wenn deine Neigung dich nicht zur
Pension zurückzöge.

Ja, versetzte Ottilie, ich läugne es nicht:
ich denke es mir als eine glückliche Bestim¬
mung, andre auf dem gewöhnlichen Wege zu

Die Einſamkeit macht nicht die Freyſtatt,
liebe Tante, verſetzte Ottilie. Die ſchaͤtzens¬
wertheſte Freyſtatt iſt da zu ſuchen, wo wir
thaͤtig ſeyn koͤnnen. Alle Buͤßungen, alle
Entbehrungen ſind keineswegs geeignet uns
einem ahndungsvollen Geſchick zu entziehen,
wenn es uns zu verfolgen entſchieden iſt. Nur,
wenn ich im muͤßigen Zuſtande der Welt zur
Schau dienen ſoll, dann iſt ſie mir wider¬
waͤrtig und aͤngſtigt mich. Findet man mich
aber freudig bey der Arbeit, unermuͤdet in
meiner Pflicht, dann kann ich die Blicke eines
Jeden aushalten, weil ich die goͤttlichen nicht
zu ſcheuen brauche.

Ich muͤßte mich ſehr irren, verſetzte Char¬
lotte, wenn deine Neigung dich nicht zur
Penſion zuruͤckzoͤge.

Ja, verſetzte Ottilie, ich laͤugne es nicht:
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[278/0281] Die Einſamkeit macht nicht die Freyſtatt, liebe Tante, verſetzte Ottilie. Die ſchaͤtzens¬ wertheſte Freyſtatt iſt da zu ſuchen, wo wir thaͤtig ſeyn koͤnnen. Alle Buͤßungen, alle Entbehrungen ſind keineswegs geeignet uns einem ahndungsvollen Geſchick zu entziehen, wenn es uns zu verfolgen entſchieden iſt. Nur, wenn ich im muͤßigen Zuſtande der Welt zur Schau dienen ſoll, dann iſt ſie mir wider¬ waͤrtig und aͤngſtigt mich. Findet man mich aber freudig bey der Arbeit, unermuͤdet in meiner Pflicht, dann kann ich die Blicke eines Jeden aushalten, weil ich die goͤttlichen nicht zu ſcheuen brauche. Ich muͤßte mich ſehr irren, verſetzte Char¬ lotte, wenn deine Neigung dich nicht zur Penſion zuruͤckzoͤge. Ja, verſetzte Ottilie, ich laͤugne es nicht: ich denke es mir als eine gluͤckliche Beſtim¬ mung, andre auf dem gewoͤhnlichen Wege zu

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/281>, abgerufen am 24.11.2024.