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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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blickte nur das reinste Daseyn hervor, alle
mußte man, wo nicht für edel, doch für gut
ansprechen. Heitere Sammlung, willige An¬
erkennung eines Ehrwürdigen über uns, stille
Hingebung in Liebe und Erwartung war auf
allen Gesichtern, in allen Gebärden ausge¬
drückt. Der Greis mit dem kahlen Scheitel,
der reichlockige Knabe, der muntere Jüngling,
der ernste Mann, der verklärte Heilige, der
schwebende Engel, alle schienen selig in einem
unschuldigen Genügen, in einem frommen
Erwarten. Das gemeinste was geschah hatte
einen Zug von himmlischem Leben, und eine
gottesdienstliche Handlung schien ganz jeder
Natur angemessen.

Nach einer solchen Region blicken wohl
die meisten wie nach einem verschwundenen
goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen
Paradiese hin. Nur vielleicht Ottilie war
in dem Fall sich unter ihres Gleichen zu
fühlen.

blickte nur das reinſte Daſeyn hervor, alle
mußte man, wo nicht fuͤr edel, doch fuͤr gut
anſprechen. Heitere Sammlung, willige An¬
erkennung eines Ehrwuͤrdigen uͤber uns, ſtille
Hingebung in Liebe und Erwartung war auf
allen Geſichtern, in allen Gebaͤrden ausge¬
druͤckt. Der Greis mit dem kahlen Scheitel,
der reichlockige Knabe, der muntere Juͤngling,
der ernſte Mann, der verklaͤrte Heilige, der
ſchwebende Engel, alle ſchienen ſelig in einem
unſchuldigen Genuͤgen, in einem frommen
Erwarten. Das gemeinſte was geſchah hatte
einen Zug von himmliſchem Leben, und eine
gottesdienſtliche Handlung ſchien ganz jeder
Natur angemeſſen.

Nach einer ſolchen Region blicken wohl
die meiſten wie nach einem verſchwundenen
goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen
Paradieſe hin. Nur vielleicht Ottilie war
in dem Fall ſich unter ihres Gleichen zu
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[24/0027] blickte nur das reinſte Daſeyn hervor, alle mußte man, wo nicht fuͤr edel, doch fuͤr gut anſprechen. Heitere Sammlung, willige An¬ erkennung eines Ehrwuͤrdigen uͤber uns, ſtille Hingebung in Liebe und Erwartung war auf allen Geſichtern, in allen Gebaͤrden ausge¬ druͤckt. Der Greis mit dem kahlen Scheitel, der reichlockige Knabe, der muntere Juͤngling, der ernſte Mann, der verklaͤrte Heilige, der ſchwebende Engel, alle ſchienen ſelig in einem unſchuldigen Genuͤgen, in einem frommen Erwarten. Das gemeinſte was geſchah hatte einen Zug von himmliſchem Leben, und eine gottesdienſtliche Handlung ſchien ganz jeder Natur angemeſſen. Nach einer ſolchen Region blicken wohl die meiſten wie nach einem verſchwundenen goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen Paradieſe hin. Nur vielleicht Ottilie war in dem Fall ſich unter ihres Gleichen zu fuͤhlen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/27>, abgerufen am 24.11.2024.