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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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recht scheint; und so greift es zuletzt durch,
wir mögen uns gebärden wie wir wollen.

Doch was sag' ich! Eigentlich will das
Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen
eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam
gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe
ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden
mir als das schicklichste Paar zusammenge¬
dacht? Habe ich nicht selbst beyde einander
zu nähern gesucht? Waren Sie nicht selbst,
mein Freund, Mitwisser dieses Plans? Und
warum konnt' ich den Eigensinn eines Man¬
nes nicht von wahrer Liebe unterscheiden?
Warum nahm ich seine Hand an? da ich
als Freundinn ihn und eine andre Gattinn
glücklich gemacht hätte. Und betrachten Sie
nur diese unglückliche Schlummernde! Ich
zittere vor dem Augenblicke, wenn sie aus ih¬
rem halben Todtenschlafe zum Bewußtseyn
erwacht. Wie soll sie leben, wie soll sie sich
trösten, wenn sie nicht hoffen kann, durch

recht ſcheint; und ſo greift es zuletzt durch,
wir moͤgen uns gebaͤrden wie wir wollen.

Doch was ſag' ich! Eigentlich will das
Schickſal meinen eigenen Wunſch, meinen
eigenen Vorſatz, gegen die ich unbedachtſam
gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe
ich nicht ſelbſt ſchon Ottilien und Eduarden
mir als das ſchicklichſte Paar zuſammenge¬
dacht? Habe ich nicht ſelbſt beyde einander
zu naͤhern geſucht? Waren Sie nicht ſelbſt,
mein Freund, Mitwiſſer dieſes Plans? Und
warum konnt' ich den Eigenſinn eines Man¬
nes nicht von wahrer Liebe unterſcheiden?
Warum nahm ich ſeine Hand an? da ich
als Freundinn ihn und eine andre Gattinn
gluͤcklich gemacht haͤtte. Und betrachten Sie
nur dieſe ungluͤckliche Schlummernde! Ich
zittere vor dem Augenblicke, wenn ſie aus ih¬
rem halben Todtenſchlafe zum Bewußtſeyn
erwacht. Wie ſoll ſie leben, wie ſoll ſie ſich
troͤſten, wenn ſie nicht hoffen kann, durch

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[263/0266] recht ſcheint; und ſo greift es zuletzt durch, wir moͤgen uns gebaͤrden wie wir wollen. Doch was ſag' ich! Eigentlich will das Schickſal meinen eigenen Wunſch, meinen eigenen Vorſatz, gegen die ich unbedachtſam gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe ich nicht ſelbſt ſchon Ottilien und Eduarden mir als das ſchicklichſte Paar zuſammenge¬ dacht? Habe ich nicht ſelbſt beyde einander zu naͤhern geſucht? Waren Sie nicht ſelbſt, mein Freund, Mitwiſſer dieſes Plans? Und warum konnt' ich den Eigenſinn eines Man¬ nes nicht von wahrer Liebe unterſcheiden? Warum nahm ich ſeine Hand an? da ich als Freundinn ihn und eine andre Gattinn gluͤcklich gemacht haͤtte. Und betrachten Sie nur dieſe ungluͤckliche Schlummernde! Ich zittere vor dem Augenblicke, wenn ſie aus ih¬ rem halben Todtenſchlafe zum Bewußtſeyn erwacht. Wie ſoll ſie leben, wie ſoll ſie ſich troͤſten, wenn ſie nicht hoffen kann, durch

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/266>, abgerufen am 24.11.2024.