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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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beydes sehr zart, doch aufrichtig vor; Char¬
lotte hörte gelassen zu, und schien weder dar¬
über zu staunen, noch unwillig zu seyn.

Als der Major geendigt hatte, antworte¬
te Charlotte mit ganz leiser Stimme, so daß
er genöthigt war seinen Stuhl heranzurücken:
In einem Falle wie dieser ist, habe ich mich
noch nie befunden; aber in ähnlichen habe ich
mir immer gesagt: wie wird es morgen seyn?
Ich fühle recht wohl, daß das Loos von meh¬
reren jetzt in meinen Händen liegt; und was
ich zu thun habe ist bey mir außer Zweifel
und bald ausgesprochen. Ich willige in die
Scheidung. Ich hätte mich früher dazu ent¬
schließen sollen; durch mein Zaudern, mein
Widerstreben habe ich das Kind getödtet. Es
sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal
hartnäckig vornimmt. Vergebens, daß Ver¬
nunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige
sich ihm in den Weg stellen; es soll etwas
geschehen was ihm recht ist, was uns nicht

beydes ſehr zart, doch aufrichtig vor; Char¬
lotte hoͤrte gelaſſen zu, und ſchien weder dar¬
uͤber zu ſtaunen, noch unwillig zu ſeyn.

Als der Major geendigt hatte, antworte¬
te Charlotte mit ganz leiſer Stimme, ſo daß
er genoͤthigt war ſeinen Stuhl heranzuruͤcken:
In einem Falle wie dieſer iſt, habe ich mich
noch nie befunden; aber in aͤhnlichen habe ich
mir immer geſagt: wie wird es morgen ſeyn?
Ich fuͤhle recht wohl, daß das Loos von meh¬
reren jetzt in meinen Haͤnden liegt; und was
ich zu thun habe iſt bey mir außer Zweifel
und bald ausgeſprochen. Ich willige in die
Scheidung. Ich haͤtte mich fruͤher dazu ent¬
ſchließen ſollen; durch mein Zaudern, mein
Widerſtreben habe ich das Kind getoͤdtet. Es
ſind gewiſſe Dinge, die ſich das Schickſal
hartnaͤckig vornimmt. Vergebens, daß Ver¬
nunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige
ſich ihm in den Weg ſtellen; es ſoll etwas
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[262/0265] beydes ſehr zart, doch aufrichtig vor; Char¬ lotte hoͤrte gelaſſen zu, und ſchien weder dar¬ uͤber zu ſtaunen, noch unwillig zu ſeyn. Als der Major geendigt hatte, antworte¬ te Charlotte mit ganz leiſer Stimme, ſo daß er genoͤthigt war ſeinen Stuhl heranzuruͤcken: In einem Falle wie dieſer iſt, habe ich mich noch nie befunden; aber in aͤhnlichen habe ich mir immer geſagt: wie wird es morgen ſeyn? Ich fuͤhle recht wohl, daß das Loos von meh¬ reren jetzt in meinen Haͤnden liegt; und was ich zu thun habe iſt bey mir außer Zweifel und bald ausgeſprochen. Ich willige in die Scheidung. Ich haͤtte mich fruͤher dazu ent¬ ſchließen ſollen; durch mein Zaudern, mein Widerſtreben habe ich das Kind getoͤdtet. Es ſind gewiſſe Dinge, die ſich das Schickſal hartnaͤckig vornimmt. Vergebens, daß Ver¬ nunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige ſich ihm in den Weg ſtellen; es ſoll etwas geſchehen was ihm recht iſt, was uns nicht

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/265>, abgerufen am 24.11.2024.