Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

meiner Aufmerksamkeit. Ich störe dich nicht
weiter, rief sie: du siehst mich nicht wieder!
Sie sprach's und eilte nach dem Vordertheil
des Schiffs, von da sie ins Wasser sprang.
Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! sie er¬
trinkt. Er war in der entsetzlichsten Verle¬
genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte
Schiffsmeister, will das Ruder ergreifen, der
jüngere es ihm übergeben; aber es ist keine
Zeit die Herrschaft zu wechseln: das Schiff
strandet, und in eben dem Augenblick, die
lästigsten Kleidungsstücke wegwerfend, stürzte
er sich ins Wasser, und schwamm der schönen
Feindinn nach.

Das Wasser ist ein freundliches Element
für den der damit bekannt ist und es zu be¬
handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬
schickte Schwimmer beherrschte es. Bald
hatte er die vor ihm fortgerissene Schöne er¬
reicht; er faßte sie, wußte sie zu heben und
zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬

meiner Aufmerkſamkeit. Ich ſtoͤre dich nicht
weiter, rief ſie: du ſiehſt mich nicht wieder!
Sie ſprach's und eilte nach dem Vordertheil
des Schiffs, von da ſie ins Waſſer ſprang.
Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! ſie er¬
trinkt. Er war in der entſetzlichſten Verle¬
genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte
Schiffsmeiſter, will das Ruder ergreifen, der
juͤngere es ihm uͤbergeben; aber es iſt keine
Zeit die Herrſchaft zu wechſeln: das Schiff
ſtrandet, und in eben dem Augenblick, die
laͤſtigſten Kleidungsſtuͤcke wegwerfend, ſtuͤrzte
er ſich ins Waſſer, und ſchwamm der ſchoͤnen
Feindinn nach.

Das Waſſer iſt ein freundliches Element
fuͤr den der damit bekannt iſt und es zu be¬
handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬
ſchickte Schwimmer beherrſchte es. Bald
hatte er die vor ihm fortgeriſſene Schoͤne er¬
reicht; er faßte ſie, wußte ſie zu heben und
zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0213" n="210"/>
meiner Aufmerk&#x017F;amkeit. Ich &#x017F;to&#x0364;re dich nicht<lb/>
weiter, rief &#x017F;ie: du &#x017F;ieh&#x017F;t mich nicht wieder!<lb/>
Sie &#x017F;prach's und eilte nach dem Vordertheil<lb/>
des Schiffs, von da &#x017F;ie ins Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;prang.<lb/>
Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! &#x017F;ie er¬<lb/>
trinkt. Er war in der ent&#x017F;etzlich&#x017F;ten Verle¬<lb/>
genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte<lb/>
Schiffsmei&#x017F;ter, will das Ruder ergreifen, der<lb/>
ju&#x0364;ngere es ihm u&#x0364;bergeben; aber es i&#x017F;t keine<lb/>
Zeit die Herr&#x017F;chaft zu wech&#x017F;eln: das Schiff<lb/>
&#x017F;trandet, und in eben dem Augenblick, die<lb/>
la&#x0364;&#x017F;tig&#x017F;ten Kleidungs&#x017F;tu&#x0364;cke wegwerfend, &#x017F;tu&#x0364;rzte<lb/>
er &#x017F;ich ins Wa&#x017F;&#x017F;er, und &#x017F;chwamm der &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Feindinn nach.</p><lb/>
          <p>Das Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t ein freundliches Element<lb/>
fu&#x0364;r den der damit bekannt i&#x017F;t und es zu be¬<lb/>
handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬<lb/>
&#x017F;chickte Schwimmer beherr&#x017F;chte es. Bald<lb/>
hatte er die vor ihm fortgeri&#x017F;&#x017F;ene Scho&#x0364;ne er¬<lb/>
reicht; er faßte &#x017F;ie, wußte &#x017F;ie zu heben und<lb/>
zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0213] meiner Aufmerkſamkeit. Ich ſtoͤre dich nicht weiter, rief ſie: du ſiehſt mich nicht wieder! Sie ſprach's und eilte nach dem Vordertheil des Schiffs, von da ſie ins Waſſer ſprang. Einige Stimmen riefen: rettet! rettet! ſie er¬ trinkt. Er war in der entſetzlichſten Verle¬ genheit. Ueber dem Lerm erwacht der alte Schiffsmeiſter, will das Ruder ergreifen, der juͤngere es ihm uͤbergeben; aber es iſt keine Zeit die Herrſchaft zu wechſeln: das Schiff ſtrandet, und in eben dem Augenblick, die laͤſtigſten Kleidungsſtuͤcke wegwerfend, ſtuͤrzte er ſich ins Waſſer, und ſchwamm der ſchoͤnen Feindinn nach. Das Waſſer iſt ein freundliches Element fuͤr den der damit bekannt iſt und es zu be¬ handeln weiß. Es trug ihn, und der ge¬ ſchickte Schwimmer beherrſchte es. Bald hatte er die vor ihm fortgeriſſene Schoͤne er¬ reicht; er faßte ſie, wußte ſie zu heben und zu tragen; beyde wurden vom Strom gewalt¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/213
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/213>, abgerufen am 22.11.2024.