Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.Und leider ereignet sich dieß nicht blos Ich hörte fragen, warum man von den Und leider ereignet ſich dieß nicht blos Ich hoͤrte fragen, warum man von den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0021" n="18"/> <p>Und leider ereignet ſich dieß nicht blos<lb/> mit den Voruͤbergehenden. Geſellſchaften und<lb/> Familien betragen ſich ſo gegen ihre liebſten<lb/> Glieder, Staͤdte gegen ihre wuͤrdigſten Buͤr¬<lb/> ger, Voͤlker gegen ihre trefflichſten Fuͤrſten,<lb/> Nationen gegen ihre vorzuͤglichſten Menſchen.</p><lb/> <p>Ich hoͤrte fragen, warum man von den<lb/> Todten ſo unbewunden Gutes ſage, von den<lb/> Lebenden immer mit einer gewiſſen Vorſicht.<lb/> Es wurde geantwortet: weil wir von jenen<lb/> nichts zu befuͤrchten haben, und dieſe uns<lb/> noch irgendwo in den Weg kommen koͤnnten.<lb/> So unrein iſt die Sorge fuͤr das Andenken<lb/> der andern; es iſt meiſt nur ein ſelbſtiſcher<lb/> Scherz, wenn es dagegen ein heiliger Ernſt<lb/> waͤre, ſeine Verhaͤltniſſe gegen die Ueberblie¬<lb/> benen immer lebendig und thaͤtig zu erhalten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [18/0021]
Und leider ereignet ſich dieß nicht blos
mit den Voruͤbergehenden. Geſellſchaften und
Familien betragen ſich ſo gegen ihre liebſten
Glieder, Staͤdte gegen ihre wuͤrdigſten Buͤr¬
ger, Voͤlker gegen ihre trefflichſten Fuͤrſten,
Nationen gegen ihre vorzuͤglichſten Menſchen.
Ich hoͤrte fragen, warum man von den
Todten ſo unbewunden Gutes ſage, von den
Lebenden immer mit einer gewiſſen Vorſicht.
Es wurde geantwortet: weil wir von jenen
nichts zu befuͤrchten haben, und dieſe uns
noch irgendwo in den Weg kommen koͤnnten.
So unrein iſt die Sorge fuͤr das Andenken
der andern; es iſt meiſt nur ein ſelbſtiſcher
Scherz, wenn es dagegen ein heiliger Ernſt
waͤre, ſeine Verhaͤltniſſe gegen die Ueberblie¬
benen immer lebendig und thaͤtig zu erhalten.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/21>, abgerufen am 16.07.2024. |