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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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daß er die Freundlichkeit der schönen Braut
als eine dankenswerthe Zugabe mit Behag¬
lichkeit aufnahm, ohne sie deshalb in irgend
einem Bezug auf sich zu betrachten, oder sie
ihrem Bräutigam zu mißgönnen, mit dem er
übrigens in den besten Verhältnissen stand.

Bey ihr hingegen sah es ganz anders
aus. Sie schien sich wie aus einem Traum
erwacht. Der Kampf gegen ihren jungen
Nachbar war die erste Leidenschaft gewesen,
und dieser heftige Kampf war doch nur, un¬
ter der Form des Widerstrebens, eine heftige
gleichsam angeborene Neigung. Auch kam es
ihr in der Erinnerung nicht anders vor, als
daß sie ihn immer geliebt habe. Sie lächelte
über jenes feindliche Suchen mit den Waffen
in der Hand; sie wollte sich des angenehmsten
Gefühls erinnern, als er sie entwaffnete; sie
bildete sich ein die größte Seligkeit empfunden
zu haben, da er sie band, und alles was
sie zu seinem Schaden und Verdruß unter¬

daß er die Freundlichkeit der ſchoͤnen Braut
als eine dankenswerthe Zugabe mit Behag¬
lichkeit aufnahm, ohne ſie deshalb in irgend
einem Bezug auf ſich zu betrachten, oder ſie
ihrem Braͤutigam zu mißgoͤnnen, mit dem er
uͤbrigens in den beſten Verhaͤltniſſen ſtand.

Bey ihr hingegen ſah es ganz anders
aus. Sie ſchien ſich wie aus einem Traum
erwacht. Der Kampf gegen ihren jungen
Nachbar war die erſte Leidenſchaft geweſen,
und dieſer heftige Kampf war doch nur, un¬
ter der Form des Widerſtrebens, eine heftige
gleichſam angeborene Neigung. Auch kam es
ihr in der Erinnerung nicht anders vor, als
daß ſie ihn immer geliebt habe. Sie laͤchelte
uͤber jenes feindliche Suchen mit den Waffen
in der Hand; ſie wollte ſich des angenehmſten
Gefuͤhls erinnern, als er ſie entwaffnete; ſie
bildete ſich ein die groͤßte Seligkeit empfunden
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[204/0207] daß er die Freundlichkeit der ſchoͤnen Braut als eine dankenswerthe Zugabe mit Behag¬ lichkeit aufnahm, ohne ſie deshalb in irgend einem Bezug auf ſich zu betrachten, oder ſie ihrem Braͤutigam zu mißgoͤnnen, mit dem er uͤbrigens in den beſten Verhaͤltniſſen ſtand. Bey ihr hingegen ſah es ganz anders aus. Sie ſchien ſich wie aus einem Traum erwacht. Der Kampf gegen ihren jungen Nachbar war die erſte Leidenſchaft geweſen, und dieſer heftige Kampf war doch nur, un¬ ter der Form des Widerſtrebens, eine heftige gleichſam angeborene Neigung. Auch kam es ihr in der Erinnerung nicht anders vor, als daß ſie ihn immer geliebt habe. Sie laͤchelte uͤber jenes feindliche Suchen mit den Waffen in der Hand; ſie wollte ſich des angenehmſten Gefuͤhls erinnern, als er ſie entwaffnete; ſie bildete ſich ein die groͤßte Seligkeit empfunden zu haben, da er ſie band, und alles was ſie zu ſeinem Schaden und Verdruß unter¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/207>, abgerufen am 22.11.2024.