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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

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Gesellschaft, gesucht von Frauen, wendete ihr
seine ganze Neigung zu. Es war das erste¬
mal, daß sich ein Freund, ein Liebhaber, ein
Diener um sie bemühte. Der Vorzug den
er ihr vor vielen gab, die älter, gebildeter,
glänzender und anspruchsreicher waren als sie,
that ihr gar zu wohl. Seine fortgesetzte
Aufmerksamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬
wesen wäre, sein treuer Beystand bey verschie¬
denen unangenehmen Zufällen, sein gegen ihre
Aeltern zwar ausgesprochnes, doch ruhiges
und nur hoffnungsvolles Werben, da sie frey¬
lich noch sehr jung war: das alles nahm sie
für ihn ein, wozu die Gewohnheit, die äu¬
ßern nun von der Welt als bekannt ange¬
nommenen Verhältnisse, das ihrige beytru¬
gen. Sie war so oft Braut genannt wor¬
den, daß sie sich endlich selbst dafür hielt,
und weder sie noch irgend Jemand dachte dar¬
an, daß noch eine Prüfung nöthig sey, als
sie den Ring mit demjenigen wechselte, der
so lange Zeit für ihren Bräutigam galt.

Geſellſchaft, geſucht von Frauen, wendete ihr
ſeine ganze Neigung zu. Es war das erſte¬
mal, daß ſich ein Freund, ein Liebhaber, ein
Diener um ſie bemuͤhte. Der Vorzug den
er ihr vor vielen gab, die aͤlter, gebildeter,
glaͤnzender und anſpruchsreicher waren als ſie,
that ihr gar zu wohl. Seine fortgeſetzte
Aufmerkſamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬
weſen waͤre, ſein treuer Beyſtand bey verſchie¬
denen unangenehmen Zufaͤllen, ſein gegen ihre
Aeltern zwar ausgeſprochnes, doch ruhiges
und nur hoffnungsvolles Werben, da ſie frey¬
lich noch ſehr jung war: das alles nahm ſie
fuͤr ihn ein, wozu die Gewohnheit, die aͤu¬
ßern nun von der Welt als bekannt ange¬
nommenen Verhaͤltniſſe, das ihrige beytru¬
gen. Sie war ſo oft Braut genannt wor¬
den, daß ſie ſich endlich ſelbſt dafuͤr hielt,
und weder ſie noch irgend Jemand dachte dar¬
an, daß noch eine Pruͤfung noͤthig ſey, als
ſie den Ring mit demjenigen wechſelte, der
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[201/0204] Geſellſchaft, geſucht von Frauen, wendete ihr ſeine ganze Neigung zu. Es war das erſte¬ mal, daß ſich ein Freund, ein Liebhaber, ein Diener um ſie bemuͤhte. Der Vorzug den er ihr vor vielen gab, die aͤlter, gebildeter, glaͤnzender und anſpruchsreicher waren als ſie, that ihr gar zu wohl. Seine fortgeſetzte Aufmerkſamkeit, ohne daß er zudringlich ge¬ weſen waͤre, ſein treuer Beyſtand bey verſchie¬ denen unangenehmen Zufaͤllen, ſein gegen ihre Aeltern zwar ausgeſprochnes, doch ruhiges und nur hoffnungsvolles Werben, da ſie frey¬ lich noch ſehr jung war: das alles nahm ſie fuͤr ihn ein, wozu die Gewohnheit, die aͤu¬ ßern nun von der Welt als bekannt ange¬ nommenen Verhaͤltniſſe, das ihrige beytru¬ gen. Sie war ſo oft Braut genannt wor¬ den, daß ſie ſich endlich ſelbſt dafuͤr hielt, und weder ſie noch irgend Jemand dachte dar¬ an, daß noch eine Pruͤfung noͤthig ſey, als ſie den Ring mit demjenigen wechſelte, der ſo lange Zeit fuͤr ihren Braͤutigam galt.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/204>, abgerufen am 22.11.2024.