Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Höchste, das Vorzüglichste am Menschen ist
gestaltlos, und man soll sich hüthen es anders
als in edler That zu gestalten.

Charlotte, die seine Gesinnungen schon
im Ganzen kannte und sie noch mehr in
kurzer Zeit erforschte, brachte ihn gleich in
seinem Fache zur Thätigkeit, indem sie ihre
Gartenknaben, welche der Architect vor seiner
Abreise eben gemustert hatte, in dem großen
Saal aufmarschiren ließ; da sie sich denn in
ihren heitern reinlichen Uniformen, mit gesetz¬
lichen Bewegungen und einem natürlichen
lebhaften Wesen, sehr gut ausnahmen. Der
Gehülfe prüfte sie nach seiner Weise, und hatte
durch mancherley Fragen und Wendungen gar
bald die Gemüthsarten und Fähigkeiten der
Kinder zu Tage gebracht, und ohne daß es
so schien, in Zeit von weniger als einer Stun¬
de, sie wirklich bedeutend unterrichtet und ge¬
fördert.

Hoͤchſte, das Vorzuͤglichſte am Menſchen iſt
geſtaltlos, und man ſoll ſich huͤthen es anders
als in edler That zu geſtalten.

Charlotte, die ſeine Geſinnungen ſchon
im Ganzen kannte und ſie noch mehr in
kurzer Zeit erforſchte, brachte ihn gleich in
ſeinem Fache zur Thaͤtigkeit, indem ſie ihre
Gartenknaben, welche der Architect vor ſeiner
Abreiſe eben gemuſtert hatte, in dem großen
Saal aufmarſchiren ließ; da ſie ſich denn in
ihren heitern reinlichen Uniformen, mit geſetz¬
lichen Bewegungen und einem natuͤrlichen
lebhaften Weſen, ſehr gut ausnahmen. Der
Gehuͤlfe pruͤfte ſie nach ſeiner Weiſe, und hatte
durch mancherley Fragen und Wendungen gar
bald die Gemuͤthsarten und Faͤhigkeiten der
Kinder zu Tage gebracht, und ohne daß es
ſo ſchien, in Zeit von weniger als einer Stun¬
de, ſie wirklich bedeutend unterrichtet und ge¬
foͤrdert.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="128"/>
Ho&#x0364;ch&#x017F;te, das Vorzu&#x0364;glich&#x017F;te am Men&#x017F;chen i&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;taltlos, und man &#x017F;oll &#x017F;ich hu&#x0364;then es anders<lb/>
als in edler That zu ge&#x017F;talten.</p><lb/>
        <p>Charlotte, die &#x017F;eine Ge&#x017F;innungen &#x017F;chon<lb/>
im Ganzen kannte und &#x017F;ie noch mehr in<lb/>
kurzer Zeit erfor&#x017F;chte, brachte ihn gleich in<lb/>
&#x017F;einem Fache zur Tha&#x0364;tigkeit, indem &#x017F;ie ihre<lb/>
Gartenknaben, welche der Architect vor &#x017F;einer<lb/>
Abrei&#x017F;e eben gemu&#x017F;tert hatte, in dem großen<lb/>
Saal aufmar&#x017F;chiren ließ; da &#x017F;ie &#x017F;ich denn in<lb/>
ihren heitern reinlichen Uniformen, mit ge&#x017F;etz¬<lb/>
lichen Bewegungen und einem natu&#x0364;rlichen<lb/>
lebhaften We&#x017F;en, &#x017F;ehr gut ausnahmen. Der<lb/>
Gehu&#x0364;lfe pru&#x0364;fte &#x017F;ie nach &#x017F;einer Wei&#x017F;e, und hatte<lb/>
durch mancherley Fragen und Wendungen gar<lb/>
bald die Gemu&#x0364;thsarten und Fa&#x0364;higkeiten der<lb/>
Kinder zu Tage gebracht, und ohne daß es<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chien, in Zeit von weniger als einer Stun¬<lb/>
de, &#x017F;ie wirklich bedeutend unterrichtet und ge¬<lb/>
fo&#x0364;rdert.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0131] Hoͤchſte, das Vorzuͤglichſte am Menſchen iſt geſtaltlos, und man ſoll ſich huͤthen es anders als in edler That zu geſtalten. Charlotte, die ſeine Geſinnungen ſchon im Ganzen kannte und ſie noch mehr in kurzer Zeit erforſchte, brachte ihn gleich in ſeinem Fache zur Thaͤtigkeit, indem ſie ihre Gartenknaben, welche der Architect vor ſeiner Abreiſe eben gemuſtert hatte, in dem großen Saal aufmarſchiren ließ; da ſie ſich denn in ihren heitern reinlichen Uniformen, mit geſetz¬ lichen Bewegungen und einem natuͤrlichen lebhaften Weſen, ſehr gut ausnahmen. Der Gehuͤlfe pruͤfte ſie nach ſeiner Weiſe, und hatte durch mancherley Fragen und Wendungen gar bald die Gemuͤthsarten und Faͤhigkeiten der Kinder zu Tage gebracht, und ohne daß es ſo ſchien, in Zeit von weniger als einer Stun¬ de, ſie wirklich bedeutend unterrichtet und ge¬ foͤrdert.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/131
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/131>, abgerufen am 22.11.2024.