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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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dieses oder jenes Plätzchen; man wagt nicht
dieses oder jenes Hinderniß wegzuräumen,
man ist nicht kühn genug etwas aufzuopfern;
man kann sich voraus nicht vorstellen was ent¬
stehen soll, man probiert, es geräth, es mis¬
räth, man verändert, verändert vielleicht was
man lassen sollte, läßt was man verändern
sollte, und so bleibt es zuletzt immer ein
Stückwerk, das gefällt und anregt, aber nicht
befriedigt.

Gesteh mir aufrichtig, sagte Eduard, du
bist mit ihren Anlagen nicht zufrieden.

Wenn die Ausführung den Gedanken er¬
schöpfte, der sehr gut ist, so wäre nichts zu
erinnern. Sie hat sich mühsam durch das
Gestein hinaufgequält und quält nun jeden,
wenn du willst, den sie hinaufführt. Weder
neben einander, noch hinter einander schreitet
man mit einer gewissen Freyheit. Der Tact
des Schrittes wird jeden Augenblick unter¬

dieſes oder jenes Plaͤtzchen; man wagt nicht
dieſes oder jenes Hinderniß wegzuraͤumen,
man iſt nicht kuͤhn genug etwas aufzuopfern;
man kann ſich voraus nicht vorſtellen was ent¬
ſtehen ſoll, man probiert, es geraͤth, es mis¬
raͤth, man veraͤndert, veraͤndert vielleicht was
man laſſen ſollte, laͤßt was man veraͤndern
ſollte, und ſo bleibt es zuletzt immer ein
Stuͤckwerk, das gefaͤllt und anregt, aber nicht
befriedigt.

Geſteh mir aufrichtig, ſagte Eduard, du
biſt mit ihren Anlagen nicht zufrieden.

Wenn die Ausfuͤhrung den Gedanken er¬
ſchoͤpfte, der ſehr gut iſt, ſo waͤre nichts zu
erinnern. Sie hat ſich muͤhſam durch das
Geſtein hinaufgequaͤlt und quaͤlt nun jeden,
wenn du willſt, den ſie hinauffuͤhrt. Weder
neben einander, noch hinter einander ſchreitet
man mit einer gewiſſen Freyheit. Der Tact
des Schrittes wird jeden Augenblick unter¬

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[53/0058] dieſes oder jenes Plaͤtzchen; man wagt nicht dieſes oder jenes Hinderniß wegzuraͤumen, man iſt nicht kuͤhn genug etwas aufzuopfern; man kann ſich voraus nicht vorſtellen was ent¬ ſtehen ſoll, man probiert, es geraͤth, es mis¬ raͤth, man veraͤndert, veraͤndert vielleicht was man laſſen ſollte, laͤßt was man veraͤndern ſollte, und ſo bleibt es zuletzt immer ein Stuͤckwerk, das gefaͤllt und anregt, aber nicht befriedigt. Geſteh mir aufrichtig, ſagte Eduard, du biſt mit ihren Anlagen nicht zufrieden. Wenn die Ausfuͤhrung den Gedanken er¬ ſchoͤpfte, der ſehr gut iſt, ſo waͤre nichts zu erinnern. Sie hat ſich muͤhſam durch das Geſtein hinaufgequaͤlt und quaͤlt nun jeden, wenn du willſt, den ſie hinauffuͤhrt. Weder neben einander, noch hinter einander ſchreitet man mit einer gewiſſen Freyheit. Der Tact des Schrittes wird jeden Augenblick unter¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/58>, abgerufen am 23.11.2024.