dann fühl' ich erst, wie sehr ich sie liebe, indem ich über alle Beschreibung geängstet bin. Manchmal neckt sie mich ganz gegen ihre Art und quält mich; aber sogleich ver¬ ändert sich ihr Bild, ihr schönes, rundes himmlisches Gesichtchen verlängert sich: es ist eine andre. Aber ich bin doch gequält, unbe¬ friedigt und zerrüttet.
Lächeln Sie nicht, lieber Mittler, oder, lächeln Sie auch! O ich schäme mich nicht dieser Anhänglichkeit, dieser, wenn Sie wollen, thörigen rasenden Neigung. Nein, ich habe noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erst, was das heißt. Bisher war alles in meinem Le¬ ben nur Vorspiel, nur Hinhalten, nur Zeit¬ vertreib, nur Zeitverderb, bis ich sie kennen lernte, bis ich sie liebte und ganz und eigent¬ lich liebte. Man hat mir, nicht gerade ins Gesicht, aber doch wohl im Rücken, den Vorwurf gemacht: ich pfusche, ich stümpere nur in den meisten Dingen. Es mag seyn,
dann fuͤhl' ich erſt, wie ſehr ich ſie liebe, indem ich uͤber alle Beſchreibung geaͤngſtet bin. Manchmal neckt ſie mich ganz gegen ihre Art und quaͤlt mich; aber ſogleich ver¬ aͤndert ſich ihr Bild, ihr ſchoͤnes, rundes himmliſches Geſichtchen verlaͤngert ſich: es iſt eine andre. Aber ich bin doch gequaͤlt, unbe¬ friedigt und zerruͤttet.
Laͤcheln Sie nicht, lieber Mittler, oder, laͤcheln Sie auch! O ich ſchaͤme mich nicht dieſer Anhaͤnglichkeit, dieſer, wenn Sie wollen, thoͤrigen raſenden Neigung. Nein, ich habe noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erſt, was das heißt. Bisher war alles in meinem Le¬ ben nur Vorſpiel, nur Hinhalten, nur Zeit¬ vertreib, nur Zeitverderb, bis ich ſie kennen lernte, bis ich ſie liebte und ganz und eigent¬ lich liebte. Man hat mir, nicht gerade ins Geſicht, aber doch wohl im Ruͤcken, den Vorwurf gemacht: ich pfuſche, ich ſtuͤmpere nur in den meiſten Dingen. Es mag ſeyn,
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dann fuͤhl' ich erſt, wie ſehr ich ſie liebe,
indem ich uͤber alle Beſchreibung geaͤngſtet
bin. Manchmal neckt ſie mich ganz gegen
ihre Art und quaͤlt mich; aber ſogleich ver¬
aͤndert ſich ihr Bild, ihr ſchoͤnes, rundes
himmliſches Geſichtchen verlaͤngert ſich: es iſt
eine andre. Aber ich bin doch gequaͤlt, unbe¬
friedigt und zerruͤttet.
Laͤcheln Sie nicht, lieber Mittler, oder,
laͤcheln Sie auch! O ich ſchaͤme mich nicht
dieſer Anhaͤnglichkeit, dieſer, wenn Sie wollen,
thoͤrigen raſenden Neigung. Nein, ich habe
noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erſt, was
das heißt. Bisher war alles in meinem Le¬
ben nur Vorſpiel, nur Hinhalten, nur Zeit¬
vertreib, nur Zeitverderb, bis ich ſie kennen
lernte, bis ich ſie liebte und ganz und eigent¬
lich liebte. Man hat mir, nicht gerade ins
Geſicht, aber doch wohl im Ruͤcken, den
Vorwurf gemacht: ich pfuſche, ich ſtuͤmpere
nur in den meiſten Dingen. Es mag ſeyn,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/299>, abgerufen am 28.11.2024.
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