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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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nur einen Augenblick, daß ich eine Art von Ver¬
sicherung hätte, sie denke mein, sie sey mein.

Eine einzige Freude bleibt mir noch. Da
ich ihr nahe war, träumte ich nie von ihr; jetzt
aber in der Ferne sind wir im Traume zu¬
sammen, und sonderbar genug, seit ich andre
liebenswürdige Personen hier in der Nachbar¬
schaft kennen gelernt, jetzt erst erscheint mir
ihr Bild im Traum, als wenn sie mir sagen
wollte: siehe nur hin und her! du findest
doch nichts schöneres und lieberes als mich.
Und so mischt sich ihr Bild in jeden meiner
Träume. Alles was mir mit ihr begegnet,
schiebt sich durch- und übereinander. Bald
unterschreiben wir einen Contract; da ist ihre
Hand und die meinige, ihr Name und der
meinige, beyde löschen einander aus, beyde
verschlingen sich. Auch nicht ohne Schmerz
sind diese wonnevollen Gaukeleyen der Phan¬
tasie. Manchmal thut sie etwas, das die
reine Idee beleidigt, die ich von ihr habe;

nur einen Augenblick, daß ich eine Art von Ver¬
ſicherung haͤtte, ſie denke mein, ſie ſey mein.

Eine einzige Freude bleibt mir noch. Da
ich ihr nahe war, traͤumte ich nie von ihr; jetzt
aber in der Ferne ſind wir im Traume zu¬
ſammen, und ſonderbar genug, ſeit ich andre
liebenswuͤrdige Perſonen hier in der Nachbar¬
ſchaft kennen gelernt, jetzt erſt erſcheint mir
ihr Bild im Traum, als wenn ſie mir ſagen
wollte: ſiehe nur hin und her! du findeſt
doch nichts ſchoͤneres und lieberes als mich.
Und ſo miſcht ſich ihr Bild in jeden meiner
Traͤume. Alles was mir mit ihr begegnet,
ſchiebt ſich durch- und uͤbereinander. Bald
unterſchreiben wir einen Contract; da iſt ihre
Hand und die meinige, ihr Name und der
meinige, beyde loͤſchen einander aus, beyde
verſchlingen ſich. Auch nicht ohne Schmerz
ſind dieſe wonnevollen Gaukeleyen der Phan¬
taſie. Manchmal thut ſie etwas, das die
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[293/0298] nur einen Augenblick, daß ich eine Art von Ver¬ ſicherung haͤtte, ſie denke mein, ſie ſey mein. Eine einzige Freude bleibt mir noch. Da ich ihr nahe war, traͤumte ich nie von ihr; jetzt aber in der Ferne ſind wir im Traume zu¬ ſammen, und ſonderbar genug, ſeit ich andre liebenswuͤrdige Perſonen hier in der Nachbar¬ ſchaft kennen gelernt, jetzt erſt erſcheint mir ihr Bild im Traum, als wenn ſie mir ſagen wollte: ſiehe nur hin und her! du findeſt doch nichts ſchoͤneres und lieberes als mich. Und ſo miſcht ſich ihr Bild in jeden meiner Traͤume. Alles was mir mit ihr begegnet, ſchiebt ſich durch- und uͤbereinander. Bald unterſchreiben wir einen Contract; da iſt ihre Hand und die meinige, ihr Name und der meinige, beyde loͤſchen einander aus, beyde verſchlingen ſich. Auch nicht ohne Schmerz ſind dieſe wonnevollen Gaukeleyen der Phan¬ taſie. Manchmal thut ſie etwas, das die reine Idee beleidigt, die ich von ihr habe;

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/298>, abgerufen am 24.11.2024.