Da Sie von Mäßigung sprechen, liebe Tante, versetzte Ottilie; so kann ich nicht ber¬ gen, daß mir dabey die Unmäßigkeit der Män¬ ner, besonders was den Wein betrifft, ein¬ fällt. Wie oft hat es mich betrübt und ge¬ ängstigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬ ner Verstand, Klugheit, Schonung anderer, Anmuth und Liebenswürdigkeit, selbst für meh¬ rere Stunden, verloren gingen, und oft statt alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬ vorzubringen und zu gewähren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie oft mögen dadurch gewaltsame Entschließungen veranlaßt werden.
Charlotte gab ihr Recht; doch setzte sie das Gespräch nicht fort: denn sie fühlte nur zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬ wöhnlich, aber doch öfter als es wünschens¬ werth war, sein Vergnügen, seine Gesprächig¬
Da Sie von Maͤßigung ſprechen, liebe Tante, verſetzte Ottilie; ſo kann ich nicht ber¬ gen, daß mir dabey die Unmaͤßigkeit der Maͤn¬ ner, beſonders was den Wein betrifft, ein¬ faͤllt. Wie oft hat es mich betruͤbt und ge¬ aͤngſtigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬ ner Verſtand, Klugheit, Schonung anderer, Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit, ſelbſt fuͤr meh¬ rere Stunden, verloren gingen, und oft ſtatt alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬ vorzubringen und zu gewaͤhren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie oft moͤgen dadurch gewaltſame Entſchließungen veranlaßt werden.
Charlotte gab ihr Recht; doch ſetzte ſie das Geſpraͤch nicht fort: denn ſie fuͤhlte nur zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬ woͤhnlich, aber doch oͤfter als es wuͤnſchens¬ werth war, ſein Vergnuͤgen, ſeine Geſpraͤchig¬
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Da Sie von Maͤßigung ſprechen, liebe
Tante, verſetzte Ottilie; ſo kann ich nicht ber¬
gen, daß mir dabey die Unmaͤßigkeit der Maͤn¬
ner, beſonders was den Wein betrifft, ein¬
faͤllt. Wie oft hat es mich betruͤbt und ge¬
aͤngſtigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬
ner Verſtand, Klugheit, Schonung anderer,
Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit, ſelbſt fuͤr meh¬
rere Stunden, verloren gingen, und oft ſtatt
alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬
vorzubringen und zu gewaͤhren vermag, Unheil
und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie
oft moͤgen dadurch gewaltſame Entſchließungen
veranlaßt werden.
Charlotte gab ihr Recht; doch ſetzte ſie
das Geſpraͤch nicht fort: denn ſie fuͤhlte nur
zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden
wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬
woͤhnlich, aber doch oͤfter als es wuͤnſchens¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/281>, abgerufen am 24.11.2024.
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