Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬
durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.
Sie erklären sich wechselseitig über Eduards Lei¬
denschaft; sie berathen sich darüber. Charlotte
schließt Ottilien näher an sich, beobachtet sie
strenger, und jemehr sie ihr eigen Herz gewahr
worden, desto tiefer blickt sie in das Herz
des Mädchens. Sie sieht keine Rettung,
als sie muß das Kind entfernen.

Nun scheint es ihr eine glückliche Fügung,
daß Luciane ein so ausgezeichnetes Lob in der
Pension erhalten: denn die Großtante, davon
unterrichtet, will sie nun ein für allemal zu
sich nehmen, sie um sich haben, sie in die
Welt einführen. Ottilie konnte in die Pen¬
sion zurückkehren; der Hauptmann entfernte
sich, wohlversorgt; und alles stand wie vor
wenigen Monaten, ja um so viel besser. Ihr
eigenes Verhältniß hoffte Charlotte zu Eduard
bald wieder herzustellen, und sie legte das al¬
les so verständig bey sich zurecht, daß sie sich

15 *

gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬
durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.
Sie erklaͤren ſich wechſelſeitig uͤber Eduards Lei¬
denſchaft; ſie berathen ſich daruͤber. Charlotte
ſchließt Ottilien naͤher an ſich, beobachtet ſie
ſtrenger, und jemehr ſie ihr eigen Herz gewahr
worden, deſto tiefer blickt ſie in das Herz
des Maͤdchens. Sie ſieht keine Rettung,
als ſie muß das Kind entfernen.

Nun ſcheint es ihr eine gluͤckliche Fuͤgung,
daß Luciane ein ſo ausgezeichnetes Lob in der
Penſion erhalten: denn die Großtante, davon
unterrichtet, will ſie nun ein fuͤr allemal zu
ſich nehmen, ſie um ſich haben, ſie in die
Welt einfuͤhren. Ottilie konnte in die Pen¬
ſion zuruͤckkehren; der Hauptmann entfernte
ſich, wohlverſorgt; und alles ſtand wie vor
wenigen Monaten, ja um ſo viel beſſer. Ihr
eigenes Verhaͤltniß hoffte Charlotte zu Eduard
bald wieder herzuſtellen, und ſie legte das al¬
les ſo verſtaͤndig bey ſich zurecht, daß ſie ſich

15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0232" n="227"/>
gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬<lb/>
durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.<lb/>
Sie erkla&#x0364;ren &#x017F;ich wech&#x017F;el&#x017F;eitig u&#x0364;ber Eduards Lei¬<lb/>
den&#x017F;chaft; &#x017F;ie berathen &#x017F;ich daru&#x0364;ber. Charlotte<lb/>
&#x017F;chließt Ottilien na&#x0364;her an &#x017F;ich, beobachtet &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;trenger, und jemehr &#x017F;ie ihr eigen Herz gewahr<lb/>
worden, de&#x017F;to tiefer blickt &#x017F;ie in das Herz<lb/>
des Ma&#x0364;dchens. Sie &#x017F;ieht keine Rettung,<lb/>
als &#x017F;ie muß das Kind entfernen.</p><lb/>
        <p>Nun &#x017F;cheint es ihr eine glu&#x0364;ckliche Fu&#x0364;gung,<lb/>
daß Luciane ein &#x017F;o ausgezeichnetes Lob in der<lb/>
Pen&#x017F;ion erhalten: denn die Großtante, davon<lb/>
unterrichtet, will &#x017F;ie nun ein fu&#x0364;r allemal zu<lb/>
&#x017F;ich nehmen, &#x017F;ie um &#x017F;ich haben, &#x017F;ie in die<lb/>
Welt einfu&#x0364;hren. Ottilie konnte in die Pen¬<lb/>
&#x017F;ion zuru&#x0364;ckkehren; der Hauptmann entfernte<lb/>
&#x017F;ich, wohlver&#x017F;orgt; und alles &#x017F;tand wie vor<lb/>
wenigen Monaten, ja um &#x017F;o viel be&#x017F;&#x017F;er. Ihr<lb/>
eigenes Verha&#x0364;ltniß hoffte Charlotte zu Eduard<lb/>
bald wieder herzu&#x017F;tellen, und &#x017F;ie legte das al¬<lb/>
les &#x017F;o ver&#x017F;ta&#x0364;ndig bey &#x017F;ich zurecht, daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0232] gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬ durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt. Sie erklaͤren ſich wechſelſeitig uͤber Eduards Lei¬ denſchaft; ſie berathen ſich daruͤber. Charlotte ſchließt Ottilien naͤher an ſich, beobachtet ſie ſtrenger, und jemehr ſie ihr eigen Herz gewahr worden, deſto tiefer blickt ſie in das Herz des Maͤdchens. Sie ſieht keine Rettung, als ſie muß das Kind entfernen. Nun ſcheint es ihr eine gluͤckliche Fuͤgung, daß Luciane ein ſo ausgezeichnetes Lob in der Penſion erhalten: denn die Großtante, davon unterrichtet, will ſie nun ein fuͤr allemal zu ſich nehmen, ſie um ſich haben, ſie in die Welt einfuͤhren. Ottilie konnte in die Pen¬ ſion zuruͤckkehren; der Hauptmann entfernte ſich, wohlverſorgt; und alles ſtand wie vor wenigen Monaten, ja um ſo viel beſſer. Ihr eigenes Verhaͤltniß hoffte Charlotte zu Eduard bald wieder herzuſtellen, und ſie legte das al¬ les ſo verſtaͤndig bey ſich zurecht, daß ſie ſich 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/232
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/232>, abgerufen am 26.11.2024.