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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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ben. Sie ging ins Schlafzimmer, trat
leise zu der verriegelten Tapetenthüre. Sie
schalt sich über ihre Furcht: wie leicht kann
die Gräfinn etwas bedürfen! sagte sie zu sich
selbst und rief gefaßt und gesetzt: Ist jemand
da? Eine leise Stimme antwortete: Ich bins.
Wer? entgegnete Charlotte, die den Ton
nicht unterscheiden konnte. Ihr stand des
Hauptmanns Gestalt vor der Thüre. Etwas
lauter klang es ihr entgegen: Eduard! Sie
öffnete und ihr Gemahl stand vor ihr. Er
begrüßte sie mit einem Scherz. Es ward ihr
möglich in diesem Tone fortzufahren. Er ver¬
wickelte den räthselhaften Besuch in räthsel¬
hafte Erklärungen. Warum ich denn aber ei¬
gentlich komme, sagte er zuletzt, muß ich dir
nur gestehen. Ich habe ein Gelübde gethan,
heute Abend noch deinen Schuh zu küssen.

Das ist dir lange nicht eingefallen, sagte
Charlotte. Desto schlimmer, versetzte Eduard,
und desto besser!

ben. Sie ging ins Schlafzimmer, trat
leiſe zu der verriegelten Tapetenthuͤre. Sie
ſchalt ſich uͤber ihre Furcht: wie leicht kann
die Graͤfinn etwas beduͤrfen! ſagte ſie zu ſich
ſelbſt und rief gefaßt und geſetzt: Iſt jemand
da? Eine leiſe Stimme antwortete: Ich bins.
Wer? entgegnete Charlotte, die den Ton
nicht unterſcheiden konnte. Ihr ſtand des
Hauptmanns Geſtalt vor der Thuͤre. Etwas
lauter klang es ihr entgegen: Eduard! Sie
oͤffnete und ihr Gemahl ſtand vor ihr. Er
begruͤßte ſie mit einem Scherz. Es ward ihr
moͤglich in dieſem Tone fortzufahren. Er ver¬
wickelte den raͤthſelhaften Beſuch in raͤthſel¬
hafte Erklaͤrungen. Warum ich denn aber ei¬
gentlich komme, ſagte er zuletzt, muß ich dir
nur geſtehen. Ich habe ein Geluͤbde gethan,
heute Abend noch deinen Schuh zu kuͤſſen.

Das iſt dir lange nicht eingefallen, ſagte
Charlotte. Deſto ſchlimmer, verſetzte Eduard,
und deſto beſſer!

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[205/0210] ben. Sie ging ins Schlafzimmer, trat leiſe zu der verriegelten Tapetenthuͤre. Sie ſchalt ſich uͤber ihre Furcht: wie leicht kann die Graͤfinn etwas beduͤrfen! ſagte ſie zu ſich ſelbſt und rief gefaßt und geſetzt: Iſt jemand da? Eine leiſe Stimme antwortete: Ich bins. Wer? entgegnete Charlotte, die den Ton nicht unterſcheiden konnte. Ihr ſtand des Hauptmanns Geſtalt vor der Thuͤre. Etwas lauter klang es ihr entgegen: Eduard! Sie oͤffnete und ihr Gemahl ſtand vor ihr. Er begruͤßte ſie mit einem Scherz. Es ward ihr moͤglich in dieſem Tone fortzufahren. Er ver¬ wickelte den raͤthſelhaften Beſuch in raͤthſel¬ hafte Erklaͤrungen. Warum ich denn aber ei¬ gentlich komme, ſagte er zuletzt, muß ich dir nur geſtehen. Ich habe ein Geluͤbde gethan, heute Abend noch deinen Schuh zu kuͤſſen. Das iſt dir lange nicht eingefallen, ſagte Charlotte. Deſto ſchlimmer, verſetzte Eduard, und deſto beſſer!

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/210>, abgerufen am 28.11.2024.