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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809.

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schneller dieses in ihr vorging, um desto mehr
schmeichelte sie äußerlich Eduards Wünschen.
Denn Niemand besaß sich mehr als diese Frau,
und diese Selbstbeherrschung in außerordentli¬
chen Fällen gewöhnt uns sogar einen gemei¬
nen Fall mit Verstellung zu behandeln, macht
uns geneigt, indem wir so viel Gewalt über
uns selbst üben, unsre Herrschaft auch über
die andern zu verbreiten, um uns durch das
was wir äußerlich gewinnen, für dasjenige
was wir innerlich entbehren, gewissermaßen
schadlos zu halten.

An diese Gesinnung schließt sich meist eine
Art heimlicher Schadenfreude über die Dun¬
kelheit der andern, über das Bewußtlose,
womit sie in eine Falle gehen. Wir freuen
uns nicht allein über das gegenwärtige Ge¬
lingen, sondern zugleich auch auf die künftig
überraschende Beschämung. Und so war die
Baronesse boshaft genug, Eduarden zur Wein¬
lese auf ihre Güter mit Charlotten einzula¬

ſchneller dieſes in ihr vorging, um deſto mehr
ſchmeichelte ſie aͤußerlich Eduards Wuͤnſchen.
Denn Niemand beſaß ſich mehr als dieſe Frau,
und dieſe Selbſtbeherrſchung in außerordentli¬
chen Faͤllen gewoͤhnt uns ſogar einen gemei¬
nen Fall mit Verſtellung zu behandeln, macht
uns geneigt, indem wir ſo viel Gewalt uͤber
uns ſelbſt uͤben, unſre Herrſchaft auch uͤber
die andern zu verbreiten, um uns durch das
was wir aͤußerlich gewinnen, fuͤr dasjenige
was wir innerlich entbehren, gewiſſermaßen
ſchadlos zu halten.

An dieſe Geſinnung ſchließt ſich meiſt eine
Art heimlicher Schadenfreude uͤber die Dun¬
kelheit der andern, uͤber das Bewußtloſe,
womit ſie in eine Falle gehen. Wir freuen
uns nicht allein uͤber das gegenwaͤrtige Ge¬
lingen, ſondern zugleich auch auf die kuͤnftig
uͤberraſchende Beſchaͤmung. Und ſo war die
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[192/0197] ſchneller dieſes in ihr vorging, um deſto mehr ſchmeichelte ſie aͤußerlich Eduards Wuͤnſchen. Denn Niemand beſaß ſich mehr als dieſe Frau, und dieſe Selbſtbeherrſchung in außerordentli¬ chen Faͤllen gewoͤhnt uns ſogar einen gemei¬ nen Fall mit Verſtellung zu behandeln, macht uns geneigt, indem wir ſo viel Gewalt uͤber uns ſelbſt uͤben, unſre Herrſchaft auch uͤber die andern zu verbreiten, um uns durch das was wir aͤußerlich gewinnen, fuͤr dasjenige was wir innerlich entbehren, gewiſſermaßen ſchadlos zu halten. An dieſe Geſinnung ſchließt ſich meiſt eine Art heimlicher Schadenfreude uͤber die Dun¬ kelheit der andern, uͤber das Bewußtloſe, womit ſie in eine Falle gehen. Wir freuen uns nicht allein uͤber das gegenwaͤrtige Ge¬ lingen, ſondern zugleich auch auf die kuͤnftig uͤberraſchende Beſchaͤmung. Und ſo war die Baroneſſe boshaft genug, Eduarden zur Wein¬ leſe auf ihre Guͤter mit Charlotten einzula¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 1. Tübingen, 1809, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw01_1809/197>, abgerufen am 27.11.2024.