Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.Torquato Tasso Prinzessinn. In diesem schönen Lande, hat man mir Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich Gar viele sind, so sucht man unter ihnen Sich seltner eine Freundinn und Gespielinn, Als man dem Dichter gern begegnen mag, Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint, Etwas zu suchen scheint das wir nicht kennen, Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt. Da wär' es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt Uns für den Schatz erkennte, den er lang' Vergebens in der weiten Welt gesucht. Leonore. Ich muß mir deinen Scherz gefallen lassen, Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief. Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst Und ich bin gegen Tasso nur gerecht. Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum; Torquato Taſſo Prinzeſſinn. In dieſem ſchönen Lande, hat man mir Verſichern wollen, wächſt vor andern Bäumen Die Myrte gern. Und wenn der Muſen gleich Gar viele ſind, ſo ſucht man unter ihnen Sich ſeltner eine Freundinn und Geſpielinn, Als man dem Dichter gern begegnen mag, Der uns zu meiden, ja zu fliehen ſcheint, Etwas zu ſuchen ſcheint das wir nicht kennen, Und er vielleicht am Ende ſelbſt nicht kennt. Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde träfe, ſchnell entzückt Uns für den Schatz erkennte, den er lang’ Vergebens in der weiten Welt geſucht. Leonore. Ich muß mir deinen Scherz gefallen laſſen, Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief. Ich ehre jeden Mann und ſein Verdienſt Und ich bin gegen Taſſo nur gerecht. Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0020" n="12"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Torquato Taſſo</hi> </fw><lb/> <sp who="#PRI"> <speaker><hi rendition="#g">Prinzeſſinn</hi>.</speaker><lb/> <p>In dieſem ſchönen Lande, hat man mir<lb/> Verſichern wollen, wächſt vor andern Bäumen<lb/> Die Myrte gern. Und wenn der Muſen gleich<lb/> Gar viele ſind, ſo ſucht man unter ihnen<lb/> Sich ſeltner eine Freundinn und Geſpielinn,<lb/> Als man dem Dichter gern begegnen mag,<lb/> Der uns zu meiden, ja zu fliehen ſcheint,<lb/> Etwas zu ſuchen ſcheint das wir nicht kennen,<lb/> Und er vielleicht am Ende ſelbſt nicht kennt.<lb/> Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns<lb/> Zur guten Stunde träfe, ſchnell entzückt<lb/> Uns für den Schatz erkennte, den er lang’<lb/> Vergebens in der weiten Welt geſucht.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEO"> <speaker><hi rendition="#g">Leonore</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich muß mir deinen Scherz gefallen laſſen,<lb/> Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht<lb/> tief.<lb/> Ich ehre jeden Mann und ſein Verdienſt<lb/> Und ich bin gegen Taſſo nur gerecht.<lb/> Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum;<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [12/0020]
Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.
In dieſem ſchönen Lande, hat man mir
Verſichern wollen, wächſt vor andern Bäumen
Die Myrte gern. Und wenn der Muſen gleich
Gar viele ſind, ſo ſucht man unter ihnen
Sich ſeltner eine Freundinn und Geſpielinn,
Als man dem Dichter gern begegnen mag,
Der uns zu meiden, ja zu fliehen ſcheint,
Etwas zu ſuchen ſcheint das wir nicht kennen,
Und er vielleicht am Ende ſelbſt nicht kennt.
Da wär’ es denn ganz artig, wenn er uns
Zur guten Stunde träfe, ſchnell entzückt
Uns für den Schatz erkennte, den er lang’
Vergebens in der weiten Welt geſucht.
Leonore.
Ich muß mir deinen Scherz gefallen laſſen,
Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht
tief.
Ich ehre jeden Mann und ſein Verdienſt
Und ich bin gegen Taſſo nur gerecht.
Sein Auge weilt auf dieſer Erde kaum;
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_torquato_1790/20>, abgerufen am 22.07.2024. |