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Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790.

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Torquato Tasso
Prinzessinn.
Eleonore! Glücklich?
Wer ist denn glücklich? -- Meinen Bruder zwar
Möcht' ich so nennen, denn sein großes Herz
Trägt sein Geschick mit immer gleichem Muth;
Allein was er verdient, das ward ihm nie.
Ist meine Schwester von Urbino glücklich?
Das schöne Weib, das edle große Herz!
Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;
Er achtet sie, und läßt sie's nicht entgelten,
Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.
Was half denn unsrer Mutter ihre Klugheit?
Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn?
Konnt' er sie vor dem fremden Irrthum
schützen?
Man nahm uns von ihr weg; nun ist sie todt,
Sie ließ uns Kindern nicht den Trost, daß sie
Mit ihrem Gott versöhnt gestorben sey.
Leonore.
O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt,
Betrachte, was noch einem jeden bleibt!
Was bleibt nicht Dir, Prinzessinn?
Torquato Taſſo
Prinzeſſinn.
Eleonore! Glücklich?
Wer iſt denn glücklich? — Meinen Bruder zwar
Möcht’ ich ſo nennen, denn ſein großes Herz
Trägt ſein Geſchick mit immer gleichem Muth;
Allein was er verdient, das ward ihm nie.
Iſt meine Schweſter von Urbino glücklich?
Das ſchöne Weib, das edle große Herz!
Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;
Er achtet ſie, und läßt ſie’s nicht entgelten,
Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.
Was half denn unſrer Mutter ihre Klugheit?
Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn?
Konnt’ er ſie vor dem fremden Irrthum
ſchützen?
Man nahm uns von ihr weg; nun iſt ſie todt,
Sie ließ uns Kindern nicht den Troſt, daß ſie
Mit ihrem Gott verſöhnt geſtorben ſey.
Leonore.
O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt,
Betrachte, was noch einem jeden bleibt!
Was bleibt nicht Dir, Prinzeſſinn?
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[116/0124] Torquato Taſſo Prinzeſſinn. Eleonore! Glücklich? Wer iſt denn glücklich? — Meinen Bruder zwar Möcht’ ich ſo nennen, denn ſein großes Herz Trägt ſein Geſchick mit immer gleichem Muth; Allein was er verdient, das ward ihm nie. Iſt meine Schweſter von Urbino glücklich? Das ſchöne Weib, das edle große Herz! Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder; Er achtet ſie, und läßt ſie’s nicht entgelten, Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus. Was half denn unſrer Mutter ihre Klugheit? Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn? Konnt’ er ſie vor dem fremden Irrthum ſchützen? Man nahm uns von ihr weg; nun iſt ſie todt, Sie ließ uns Kindern nicht den Troſt, daß ſie Mit ihrem Gott verſöhnt geſtorben ſey. Leonore. O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt, Betrachte, was noch einem jeden bleibt! Was bleibt nicht Dir, Prinzeſſinn?

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Torquato Tasso. Leipzig, 1790, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_torquato_1790/124>, abgerufen am 25.11.2024.