Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790.kann sie, ohne den geringsten Schaden derselben, genommen werden; sie wird also weder einen Kelch, noch irgend einen lebendigen Pflanzen- theil hervorbringen. Die zweyte Rinde ist es, welche alle Kraft des Lebens und Wachsthums enthält. In dem Grad in welchem sie verlezt wird, wird auch das Wachsthum gestöhrt, sie ist es welche bey genauer Betrachtung alle äussere Pflanzentheile nach und nach im Stengel, oder auf einmal in Blüthe und Frucht hervor- bringt. Ihr wurde von Linneen nur das subor- dinirte Geschäft die Blumenblätter hervorzu- bringen zugeschrieben. Dem Holze ward dagegen die wichtige Hervorbringung der männ- lichen Staubwerkzeuge zu theil; anstatt dass man gar wohl bemerken kann, es sey dasselbe ein durch Solidescenz zur Ruhe gebrachter, wenn gleich daurender, doch der Lebens- wirkung abgestorbener Theil. Das Mark sollte endlich die wichtigste Function verrichten, die weiblichen Geschlechtstheile und eine zahl- reiche Nachkommenschaft hervorbringen. Die Zweifel welche man gegen diese grosse Würde des Markes erregt, die Gründe die man dagegen angeführt hat sind auch mir wichtig und entscheidend. Es war nur scheinbar als kann ſie, ohne den geringſten Schaden derſelben, genommen werden; ſie wird alſo weder einen Kelch, noch irgend einen lebendigen Pflanzen- theil hervorbringen. Die zweyte Rinde iſt es, welche alle Kraft des Lebens und Wachsthums enthält. In dem Grad in welchem ſie verlezt wird, wird auch das Wachsthum geſtöhrt, ſie iſt es welche bey genauer Betrachtung alle äuſsere Pflanzentheile nach und nach im Stengel, oder auf einmal in Blüthe und Frucht hervor- bringt. Ihr wurde von Linnéen nur das ſubor- dinirte Geſchäft die Blumenblätter hervorzu- bringen zugeſchrieben. Dem Holze ward dagegen die wichtige Hervorbringung der männ- lichen Staubwerkzeuge zu theil; anſtatt daſs man gar wohl bemerken kann, es ſey daſſelbe ein durch Solideſcenz zur Ruhe gebrachter, wenn gleich daurender, doch der Lebens- wirkung abgeſtorbener Theil. Das Mark ſollte endlich die wichtigſte Function verrichten, die weiblichen Geſchlechtstheile und eine zahl- reiche Nachkommenſchaft hervorbringen. Die Zweifel welche man gegen dieſe groſse Würde des Markes erregt, die Gründe die man dagegen angeführt hat ſind auch mir wichtig und entſcheidend. Es war nur ſcheinbar als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0092" n="77"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/> kann ſie, ohne den geringſten Schaden derſelben,<lb/> genommen werden; ſie wird alſo weder einen<lb/> Kelch, noch irgend einen lebendigen Pflanzen-<lb/> theil hervorbringen. Die zweyte Rinde iſt es,<lb/> welche alle Kraft des Lebens und Wachsthums<lb/> enthält. In dem Grad in welchem ſie verlezt<lb/> wird, wird auch das Wachsthum geſtöhrt, ſie<lb/> iſt es welche bey genauer Betrachtung alle<lb/> äuſsere Pflanzentheile nach und nach im Stengel,<lb/> oder auf einmal in Blüthe und Frucht hervor-<lb/> bringt. Ihr wurde von Linnéen nur das ſubor-<lb/> dinirte Geſchäft die Blumenblätter hervorzu-<lb/> bringen zugeſchrieben. Dem Holze ward<lb/> dagegen die wichtige Hervorbringung der männ-<lb/> lichen Staubwerkzeuge zu theil; anſtatt daſs<lb/> man gar wohl bemerken kann, es ſey daſſelbe<lb/> ein durch Solideſcenz zur Ruhe gebrachter,<lb/> wenn gleich daurender, doch der Lebens-<lb/> wirkung abgeſtorbener Theil. Das Mark ſollte<lb/> endlich die wichtigſte Function verrichten,<lb/> die weiblichen Geſchlechtstheile und eine zahl-<lb/> reiche Nachkommenſchaft hervorbringen. Die<lb/> Zweifel welche man gegen dieſe groſse Würde<lb/> des Markes erregt, die Gründe die man<lb/> dagegen angeführt hat ſind auch mir wichtig<lb/> und entſcheidend. Es war nur ſcheinbar als<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0092]
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genommen werden; ſie wird alſo weder einen
Kelch, noch irgend einen lebendigen Pflanzen-
theil hervorbringen. Die zweyte Rinde iſt es,
welche alle Kraft des Lebens und Wachsthums
enthält. In dem Grad in welchem ſie verlezt
wird, wird auch das Wachsthum geſtöhrt, ſie
iſt es welche bey genauer Betrachtung alle
äuſsere Pflanzentheile nach und nach im Stengel,
oder auf einmal in Blüthe und Frucht hervor-
bringt. Ihr wurde von Linnéen nur das ſubor-
dinirte Geſchäft die Blumenblätter hervorzu-
bringen zugeſchrieben. Dem Holze ward
dagegen die wichtige Hervorbringung der männ-
lichen Staubwerkzeuge zu theil; anſtatt daſs
man gar wohl bemerken kann, es ſey daſſelbe
ein durch Solideſcenz zur Ruhe gebrachter,
wenn gleich daurender, doch der Lebens-
wirkung abgeſtorbener Theil. Das Mark ſollte
endlich die wichtigſte Function verrichten,
die weiblichen Geſchlechtstheile und eine zahl-
reiche Nachkommenſchaft hervorbringen. Die
Zweifel welche man gegen dieſe groſse Würde
des Markes erregt, die Gründe die man
dagegen angeführt hat ſind auch mir wichtig
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha, 1790, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_metamorphose_1790/92>, abgerufen am 21.02.2025. |