Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.
In den letzten Worten fällt der Text bereits mit der späteren Rahmenerzählung zusammen, und von hier an läuft der Vortrag gleichlautend fort. Nur würde man irren, wenn man glaubte, daß das Märchen sich nun vollständig angeschlossen habe. Nein, vielmehr geleitet von der bekannten Neigung, zu zerstückeln und nicht gleich mit dem Ganzen herauszurücken, gab der Dichter nur die Hälfte des ohnehin so kleinen Stückes, und das Bruchstückchen schloß, unbefriedigend genug, mit den Worten:
In den letzten Worten fällt der Text bereits mit der späteren Rahmenerzählung zusammen, und von hier an läuft der Vortrag gleichlautend fort. Nur würde man irren, wenn man glaubte, daß das Märchen sich nun vollständig angeschlossen habe. Nein, vielmehr geleitet von der bekannten Neigung, zu zerstückeln und nicht gleich mit dem Ganzen herauszurücken, gab der Dichter nur die Hälfte des ohnehin so kleinen Stückes, und das Bruchstückchen schloß, unbefriedigend genug, mit den Worten: <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <cit> <quote> <p><pb facs="#f0008"/> meine Flasche auf dem Vorsaal, als daß ich Sie stören wollte.<supplied>“</supplied> — Diese Anrede bestach uns sogleich, und der Vorsitzende, der die Zustimmung schon in unseren Augen gelesen hatte, lud ihn ein, sich zu uns zu setzen, und wenn er unsere Geschichten angehört, auch die seinige mitzutheilen.</p><lb/> <p>„Der Fremde ging diesen Vorschlag mit Vergnügen ein, und als nach einigen angenehm vollbrachten Stunden gegen Mitternacht die Reihe nunmehr an ihn kam, so begann er seine Rede mit einer gewissen zutraulichen Bescheidenheit, die zu seinem übrigen Wesen vollkommen passend war.</p><lb/> <p>„Es ist nicht zu leugnen, meine Herren, daß die Begebenheiten und Liebesabenteuer, deren Sie sich rühmen, für merkwürdig und bedeutend zu halten sind; aber Sie erlauben mir zu sagen, daß ich eines zu erzählen habe, welches die bisherigen weit übertrifft, und das, wiewohl es mir schon vor einigen Jahren begegnet, mich noch immer in der Erinnerung unruhig macht, ja sogar eine endliche Entwicklung hoffen läßt. Es möchte schwerlich seines Gleichen finden.“</p><lb/> </quote> </cit> <p>In den letzten Worten fällt der Text bereits mit der späteren Rahmenerzählung zusammen, und von hier an läuft der Vortrag gleichlautend fort. Nur würde man irren, wenn man glaubte, daß das Märchen sich nun vollständig angeschlossen habe. Nein, vielmehr geleitet von der bekannten Neigung, zu zerstückeln und nicht gleich mit dem Ganzen herauszurücken, gab der Dichter nur die Hälfte des ohnehin so kleinen Stückes, und das Bruchstückchen schloß, unbefriedigend genug, mit den Worten: <cit><quote>„Vernimm also: —“</quote></cit> Also, da das Damentaschenbuch in jährlichen Zwischenräumen herauskam, mußte eine Pause von dieser Länge erduldet werden? O nein, geneigter Leser, der Jahrgang 1818 brachte den <cit><quote>„Mann von fünfzig Jahren“</quote></cit>, und erst im Jahrgang 1819, somit nach mehr als siebzehntausend Wartestunden,<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0008]
meine Flasche auf dem Vorsaal, als daß ich Sie stören wollte.“ — Diese Anrede bestach uns sogleich, und der Vorsitzende, der die Zustimmung schon in unseren Augen gelesen hatte, lud ihn ein, sich zu uns zu setzen, und wenn er unsere Geschichten angehört, auch die seinige mitzutheilen.
„Der Fremde ging diesen Vorschlag mit Vergnügen ein, und als nach einigen angenehm vollbrachten Stunden gegen Mitternacht die Reihe nunmehr an ihn kam, so begann er seine Rede mit einer gewissen zutraulichen Bescheidenheit, die zu seinem übrigen Wesen vollkommen passend war.
„Es ist nicht zu leugnen, meine Herren, daß die Begebenheiten und Liebesabenteuer, deren Sie sich rühmen, für merkwürdig und bedeutend zu halten sind; aber Sie erlauben mir zu sagen, daß ich eines zu erzählen habe, welches die bisherigen weit übertrifft, und das, wiewohl es mir schon vor einigen Jahren begegnet, mich noch immer in der Erinnerung unruhig macht, ja sogar eine endliche Entwicklung hoffen läßt. Es möchte schwerlich seines Gleichen finden.“
In den letzten Worten fällt der Text bereits mit der späteren Rahmenerzählung zusammen, und von hier an läuft der Vortrag gleichlautend fort. Nur würde man irren, wenn man glaubte, daß das Märchen sich nun vollständig angeschlossen habe. Nein, vielmehr geleitet von der bekannten Neigung, zu zerstückeln und nicht gleich mit dem Ganzen herauszurücken, gab der Dichter nur die Hälfte des ohnehin so kleinen Stückes, und das Bruchstückchen schloß, unbefriedigend genug, mit den Worten: „Vernimm also: —“ Also, da das Damentaschenbuch in jährlichen Zwischenräumen herauskam, mußte eine Pause von dieser Länge erduldet werden? O nein, geneigter Leser, der Jahrgang 1818 brachte den „Mann von fünfzig Jahren“, und erst im Jahrgang 1819, somit nach mehr als siebzehntausend Wartestunden,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_melusine_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_melusine_1910/8 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_melusine_1910/8>, abgerufen am 16.02.2025. |