Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sie leicht nimmst: denn für uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich will dir vertrauen und von meiner Seite das Mögliche thun, nur versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken. Dazu füg' ich noch eine Bitte recht inständig, nimm dich vor Wein und Zorn mehr als jemals in Acht. Ich versprach, was sie begehrte, ich hätte zu und immer zu versprochen; doch sie wendete selbst das Gespräch, und Alles war im vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres Aufenthalts zu verändern; die Stadt war groß, die Gesellschaft vielfach, die Jahreszeit veranlaßte manches Land- und Gartenfest. Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gerne gesehen, ja von Männern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes Betragen, mit einer gewissen Hoheit verknüpft, machte sie jedermann lieb und ehrenwerth. Ueberdies spielte sie herrlich die Laute und sang dazu, und alle geselligen Nächte mußten durch ihr Talent gekrönt werden. Ich will nur gestehen, daß ich mir aus der Musik niemals viel habe machen können, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme Wirkung. Meine Schöne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschädigen, wo sie denn gewöhnlich eine Menge Bewunderer fand. Und nun, warum sollte ich es läugnen, unsere letzte sie leicht nimmst: denn für uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich will dir vertrauen und von meiner Seite das Mögliche thun, nur versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken. Dazu füg' ich noch eine Bitte recht inständig, nimm dich vor Wein und Zorn mehr als jemals in Acht. Ich versprach, was sie begehrte, ich hätte zu und immer zu versprochen; doch sie wendete selbst das Gespräch, und Alles war im vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres Aufenthalts zu verändern; die Stadt war groß, die Gesellschaft vielfach, die Jahreszeit veranlaßte manches Land- und Gartenfest. Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gerne gesehen, ja von Männern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes Betragen, mit einer gewissen Hoheit verknüpft, machte sie jedermann lieb und ehrenwerth. Ueberdies spielte sie herrlich die Laute und sang dazu, und alle geselligen Nächte mußten durch ihr Talent gekrönt werden. Ich will nur gestehen, daß ich mir aus der Musik niemals viel habe machen können, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme Wirkung. Meine Schöne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschädigen, wo sie denn gewöhnlich eine Menge Bewunderer fand. Und nun, warum sollte ich es läugnen, unsere letzte <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0027"/> sie leicht nimmst: denn für uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich will dir vertrauen und von meiner Seite das Mögliche thun, nur versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken. Dazu füg' ich noch eine Bitte recht inständig, nimm dich vor Wein und Zorn mehr als jemals in Acht.</p><lb/> <p>Ich versprach, was sie begehrte, ich hätte zu und immer zu versprochen; doch sie wendete selbst das Gespräch, und Alles war im vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres Aufenthalts zu verändern; die Stadt war groß, die Gesellschaft vielfach, die Jahreszeit veranlaßte manches Land- und Gartenfest.</p><lb/> <p>Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gerne gesehen, ja von Männern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes Betragen, mit einer gewissen Hoheit verknüpft, machte sie jedermann lieb und ehrenwerth. Ueberdies spielte sie herrlich die Laute und sang dazu, und alle geselligen Nächte mußten durch ihr Talent gekrönt werden.</p><lb/> <p>Ich will nur gestehen, daß ich mir aus der Musik niemals viel habe machen können, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme Wirkung. Meine Schöne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschädigen, wo sie denn gewöhnlich eine Menge Bewunderer fand.</p><lb/> <p>Und nun, warum sollte ich es läugnen, unsere letzte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
sie leicht nimmst: denn für uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich will dir vertrauen und von meiner Seite das Mögliche thun, nur versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken. Dazu füg' ich noch eine Bitte recht inständig, nimm dich vor Wein und Zorn mehr als jemals in Acht.
Ich versprach, was sie begehrte, ich hätte zu und immer zu versprochen; doch sie wendete selbst das Gespräch, und Alles war im vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres Aufenthalts zu verändern; die Stadt war groß, die Gesellschaft vielfach, die Jahreszeit veranlaßte manches Land- und Gartenfest.
Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gerne gesehen, ja von Männern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes Betragen, mit einer gewissen Hoheit verknüpft, machte sie jedermann lieb und ehrenwerth. Ueberdies spielte sie herrlich die Laute und sang dazu, und alle geselligen Nächte mußten durch ihr Talent gekrönt werden.
Ich will nur gestehen, daß ich mir aus der Musik niemals viel habe machen können, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme Wirkung. Meine Schöne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschädigen, wo sie denn gewöhnlich eine Menge Bewunderer fand.
Und nun, warum sollte ich es läugnen, unsere letzte
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Die neue Melusine. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_melusine_1910/27>, abgerufen am 16.02.2025. |