Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Er machte darauf eine Beschreibung, wie
er sich eine Frau wünsche. Ich ward roth,
denn er beschrieb mich, wie ich leibte und
lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph,
um so mehr, da ich aus allen Umständen
sah, daß er mich persönlich nicht gemeint
hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte,
Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬
pfindung in meinem ganzen Leben, als daß
ein Mann, den ich so sehr schätzte, nicht
meiner Person, sondern meiner innersten Na¬
tur den Vorzug gab. Welche Belohnung
fühlte ich! welche Aufmunterung war mir
geworden!

Als sie weg waren, sagte meine würdige
Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die
Männer oft denken und reden, was sie doch
nicht zur Ausführung kommen lassen, sonst
wäre eine treffliche Partie für meine liebe
Therese geradezu gefunden. Ich scherzte über

Er machte darauf eine Beſchreibung, wie
er ſich eine Frau wünſche. Ich ward roth,
denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und
lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph,
um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden
ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint
hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte,
Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬
pfindung in meinem ganzen Leben, als daß
ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht
meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Na¬
tur den Vorzug gab. Welche Belohnung
fühlte ich! welche Aufmunterung war mir
geworden!

Als ſie weg waren, ſagte meine würdige
Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die
Männer oft denken und reden, was ſie doch
nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt
wäre eine treffliche Partie für meine liebe
Thereſe geradezu gefunden. Ich ſcherzte über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0097" n="93"/>
            <p>Er machte darauf eine Be&#x017F;chreibung, wie<lb/>
er &#x017F;ich eine Frau wün&#x017F;che. Ich ward roth,<lb/>
denn er be&#x017F;chrieb mich, wie ich leibte und<lb/>
lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph,<lb/>
um &#x017F;o mehr, da ich aus allen Um&#x017F;tänden<lb/>
&#x017F;ah, daß er mich per&#x017F;önlich nicht gemeint<lb/>
hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte,<lb/>
Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬<lb/>
pfindung in meinem ganzen Leben, als daß<lb/>
ein Mann, den ich &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;chätzte, nicht<lb/>
meiner Per&#x017F;on, &#x017F;ondern meiner inner&#x017F;ten Na¬<lb/>
tur den Vorzug gab. Welche Belohnung<lb/>
fühlte ich! welche Aufmunterung war mir<lb/>
geworden!</p><lb/>
            <p>Als &#x017F;ie weg waren, &#x017F;agte meine würdige<lb/>
Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die<lb/>
Männer oft denken und reden, was &#x017F;ie doch<lb/>
nicht zur Ausführung kommen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
wäre eine treffliche Partie für meine liebe<lb/>
There&#x017F;e geradezu gefunden. Ich &#x017F;cherzte über<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0097] Er machte darauf eine Beſchreibung, wie er ſich eine Frau wünſche. Ich ward roth, denn er beſchrieb mich, wie ich leibte und lebte. Ich genoß im Stillen meinen Triumph, um ſo mehr, da ich aus allen Umſtänden ſah, daß er mich perſönlich nicht gemeint hatte, daß er mich eigentlich nicht kannte, Ich erinnere mich keiner angenehmern Em¬ pfindung in meinem ganzen Leben, als daß ein Mann, den ich ſo ſehr ſchätzte, nicht meiner Perſon, ſondern meiner innerſten Na¬ tur den Vorzug gab. Welche Belohnung fühlte ich! welche Aufmunterung war mir geworden! Als ſie weg waren, ſagte meine würdige Freundin lächelnd zu mir: Schade daß die Männer oft denken und reden, was ſie doch nicht zur Ausführung kommen laſſen, ſonſt wäre eine treffliche Partie für meine liebe Thereſe geradezu gefunden. Ich ſcherzte über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/97
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/97>, abgerufen am 23.11.2024.