Er hörte mich gelassen an; gutes Kind! sagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles, sey ruhig, ertrag es mit Geduld, denn es ist nur um deinetwillen, daß ich es leide.
Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Ge¬ duld. Ich schalt meinen Vater im Stillen, denn ich glaubte nicht, daß er um irgend einer Ursache willen so etwas zu dulden brauche, ich bestand auf der Ordnung, und ich war entschlossen, die Sache aufs äußerste kommen zu lassen.
Meine Mutter war reich von sich, ver¬ zehrte aber doch mehr als sie sollte, und dies gab, wie ich wohl merkte, manche Er¬ klärung zwischen meinen Eltern. Lange war der Sache nicht geholfen, bis die Leiden¬ schaften meiner Mutter selbst eine Art von Entwickelung hervorbrachten.
Der erste Liebhaber ward auf eine ekla¬ tante Weise ungetreu; das Haus, die Ge¬
Er hörte mich gelaſſen an; gutes Kind! ſagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles, ſey ruhig, ertrag es mit Geduld, denn es iſt nur um deinetwillen, daß ich es leide.
Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Ge¬ duld. Ich ſchalt meinen Vater im Stillen, denn ich glaubte nicht, daß er um irgend einer Urſache willen ſo etwas zu dulden brauche, ich beſtand auf der Ordnung, und ich war entſchloſſen, die Sache aufs äußerſte kommen zu laſſen.
Meine Mutter war reich von ſich, ver¬ zehrte aber doch mehr als ſie ſollte, und dies gab, wie ich wohl merkte, manche Er¬ klärung zwiſchen meinen Eltern. Lange war der Sache nicht geholfen, bis die Leiden¬ ſchaften meiner Mutter ſelbſt eine Art von Entwickelung hervorbrachten.
Der erſte Liebhaber ward auf eine ekla¬ tante Weiſe ungetreu; das Haus, die Ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0086"n="82"/><p>Er hörte mich gelaſſen an; gutes Kind!<lb/>ſagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles,<lb/>ſey ruhig, ertrag es mit Geduld, denn es<lb/>
iſt nur um deinetwillen, daß ich es leide.</p><lb/><p>Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Ge¬<lb/>
duld. Ich ſchalt meinen Vater im Stillen,<lb/>
denn ich glaubte nicht, daß er um irgend<lb/>
einer Urſache willen ſo etwas zu dulden<lb/>
brauche, ich beſtand auf der Ordnung, und<lb/>
ich war entſchloſſen, die Sache aufs äußerſte<lb/>
kommen zu laſſen.</p><lb/><p>Meine Mutter war reich von ſich, ver¬<lb/>
zehrte aber doch mehr als ſie ſollte, und<lb/>
dies gab, wie ich wohl merkte, manche Er¬<lb/>
klärung zwiſchen meinen Eltern. Lange war<lb/>
der Sache nicht geholfen, bis die Leiden¬<lb/>ſchaften meiner Mutter ſelbſt eine Art von<lb/>
Entwickelung hervorbrachten.</p><lb/><p>Der erſte Liebhaber ward auf eine ekla¬<lb/>
tante Weiſe ungetreu; das Haus, die Ge¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[82/0086]
Er hörte mich gelaſſen an; gutes Kind!
ſagte er zuletzt mit Lächeln, ich weiß alles,
ſey ruhig, ertrag es mit Geduld, denn es
iſt nur um deinetwillen, daß ich es leide.
Ich war nicht ruhig, ich hatte keine Ge¬
duld. Ich ſchalt meinen Vater im Stillen,
denn ich glaubte nicht, daß er um irgend
einer Urſache willen ſo etwas zu dulden
brauche, ich beſtand auf der Ordnung, und
ich war entſchloſſen, die Sache aufs äußerſte
kommen zu laſſen.
Meine Mutter war reich von ſich, ver¬
zehrte aber doch mehr als ſie ſollte, und
dies gab, wie ich wohl merkte, manche Er¬
klärung zwiſchen meinen Eltern. Lange war
der Sache nicht geholfen, bis die Leiden¬
ſchaften meiner Mutter ſelbſt eine Art von
Entwickelung hervorbrachten.
Der erſte Liebhaber ward auf eine ekla¬
tante Weiſe ungetreu; das Haus, die Ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/86>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.