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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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als hätte ich ihr einen so werthen Liebhaber
geraubt. Aber auch wie viele tausend Thrä¬
nen und Schmerzen hat mich diese Liebe
schon gekostet; erst sahen wir uns nur zu¬
weilen am dritten Orte verstohlen, aber lange
konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in
seiner Gegenwart war ich glücklich, ganz
glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬
nes Auge, keinen ruhigen Pulsschlag. Einst
verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬
zweiflung, machte mich auf den Weg, und
überraschte ihn hier. Er nahm mich liebevoll
auf, und wäre nicht dieser unglückseelige
Handel dazwischen gekommen, so hätte ich
ein himmlisches Leben geführt; und was ich
ausgestanden habe, seitdem er in Gefahr ist,
seitdem er leidet, sag ich nicht, und noch in
diesem Augenblicke mache ich mir lebhafte
Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von
ihm habe entfernen können.

als hätte ich ihr einen ſo werthen Liebhaber
geraubt. Aber auch wie viele tauſend Thrä¬
nen und Schmerzen hat mich dieſe Liebe
ſchon gekoſtet; erſt ſahen wir uns nur zu¬
weilen am dritten Orte verſtohlen, aber lange
konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in
ſeiner Gegenwart war ich glücklich, ganz
glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬
nes Auge, keinen ruhigen Pulsſchlag. Einſt
verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬
zweiflung, machte mich auf den Weg, und
überraſchte ihn hier. Er nahm mich liebevoll
auf, und wäre nicht dieſer unglückſeelige
Handel dazwiſchen gekommen, ſo hätte ich
ein himmliſches Leben geführt; und was ich
ausgeſtanden habe, ſeitdem er in Gefahr iſt,
ſeitdem er leidet, ſag ich nicht, und noch in
dieſem Augenblicke mache ich mir lebhafte
Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von
ihm habe entfernen können.

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[59/0063] als hätte ich ihr einen ſo werthen Liebhaber geraubt. Aber auch wie viele tauſend Thrä¬ nen und Schmerzen hat mich dieſe Liebe ſchon gekoſtet; erſt ſahen wir uns nur zu¬ weilen am dritten Orte verſtohlen, aber lange konnte ich das Leben nicht ertragen, nur in ſeiner Gegenwart war ich glücklich, ganz glücklich! fern von ihm hatte ich kein trock¬ nes Auge, keinen ruhigen Pulsſchlag. Einſt verzog er mehrere Tage, ich war in Ver¬ zweiflung, machte mich auf den Weg, und überraſchte ihn hier. Er nahm mich liebevoll auf, und wäre nicht dieſer unglückſeelige Handel dazwiſchen gekommen, ſo hätte ich ein himmliſches Leben geführt; und was ich ausgeſtanden habe, ſeitdem er in Gefahr iſt, ſeitdem er leidet, ſag ich nicht, und noch in dieſem Augenblicke mache ich mir lebhafte Vorwürfe, daß ich mich nur einen Tag von ihm habe entfernen können.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/63>, abgerufen am 23.11.2024.