nis. Ein Glas flüssiges Opium fehlte in der Hausapotheke des Geistlichen, man hielt für nöthig die strengste Untersuchung anzustellen, jedermann suchte sich des Verdachtes zu er¬ wehren, es gab unter den Hausgenossen hef¬ tige Scenen. Endlich trat dieser Mann auf, und gestand, daß er es besitze; man fragte ihn, ob er davon genommen habe? er sagte nein! fuhr aber fort: Ich danke diesem Be¬ sitz, die Wiederkehr meiner Vernunft, es hängt von euch ab mir dieses Fläschchen zu nehmen, und ihr werdet mich ohne Hoff¬ nung in meinen alten Zustand wieder zurück¬ fallen sehen. Das Gefühl, daß es wün¬ schenswerth sey die Leiden dieser Erde durch den Tod geendigt zu sehen, brachte mich zu¬ erst auf den Weg der Genesung; bald darauf entstand der Gedanke, sie durch einen frey¬ willigen Tod zu endigen, und ich nahm in dieser Absicht das Glas hinweg; die Mög¬
nis. Ein Glas flüſſiges Opium fehlte in der Hausapotheke des Geiſtlichen, man hielt für nöthig die ſtrengſte Unterſuchung anzuſtellen, jedermann ſuchte ſich des Verdachtes zu er¬ wehren, es gab unter den Hausgenoſſen hef¬ tige Scenen. Endlich trat dieſer Mann auf, und geſtand, daß er es beſitze; man fragte ihn, ob er davon genommen habe? er ſagte nein! fuhr aber fort: Ich danke dieſem Be¬ ſitz, die Wiederkehr meiner Vernunft, es hängt von euch ab mir dieſes Fläſchchen zu nehmen, und ihr werdet mich ohne Hoff¬ nung in meinen alten Zuſtand wieder zurück¬ fallen ſehen. Das Gefühl, daß es wün¬ ſchenswerth ſey die Leiden dieſer Erde durch den Tod geendigt zu ſehen, brachte mich zu¬ erſt auf den Weg der Geneſung; bald darauf entſtand der Gedanke, ſie durch einen frey¬ willigen Tod zu endigen, und ich nahm in dieſer Abſicht das Glas hinweg; die Mög¬
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nis. Ein Glas flüſſiges Opium fehlte in der
Hausapotheke des Geiſtlichen, man hielt für
nöthig die ſtrengſte Unterſuchung anzuſtellen,
jedermann ſuchte ſich des Verdachtes zu er¬
wehren, es gab unter den Hausgenoſſen hef¬
tige Scenen. Endlich trat dieſer Mann auf,
und geſtand, daß er es beſitze; man fragte
ihn, ob er davon genommen habe? er ſagte
nein! fuhr aber fort: Ich danke dieſem Be¬
ſitz, die Wiederkehr meiner Vernunft, es
hängt von euch ab mir dieſes Fläſchchen zu
nehmen, und ihr werdet mich ohne Hoff¬
nung in meinen alten Zuſtand wieder zurück¬
fallen ſehen. Das Gefühl, daß es wün¬
ſchenswerth ſey die Leiden dieſer Erde durch
den Tod geendigt zu ſehen, brachte mich zu¬
erſt auf den Weg der Geneſung; bald darauf
entſtand der Gedanke, ſie durch einen frey¬
willigen Tod zu endigen, und ich nahm in
dieſer Abſicht das Glas hinweg; die Mög¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/476>, abgerufen am 25.11.2024.
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