zu sich genommen und so bewahrt habe, ein größeres Unglück zu erdulden oder zu stiften.
Bey dieser Gelegenheit kamen alle Mähr¬ chen zur Sprache, die man von unsern Was¬ sern zu erzählen pflegt. Es hieß: der See müsse alle Jahre ein unschuldiges Kind ha¬ ben, er leide keinen todten Körper, und werfe ihn früh oder spät ans Ufer, ja sogar das letzte Knöchelchen, wenn es zu Grunde gesunken sey, müsse wieder heraus. Man erzählte die Geschichte einer untröstlichen Mutter, deren Kind im See ertrunken sey, und die Gott und seine Heiligen angerufen habe, nur wenigstens ihr die Gebeine zum Begräbniß zu gönnen; der nächste Sturm habe den Schädel, der folgende den Rumpf ans Ufer gebracht, und nachdem alles bey¬ sammen gewesen, habe sie sämmtliche Ge¬ beine in einem Tuch zur Kirche getragen, aber, o Wunder! als sie in den Tempel ge¬
W. Meisters Lehrj. 4. F f
zu ſich genommen und ſo bewahrt habe, ein größeres Unglück zu erdulden oder zu ſtiften.
Bey dieſer Gelegenheit kamen alle Mähr¬ chen zur Sprache, die man von unſern Waſ¬ ſern zu erzählen pflegt. Es hieß: der See müſſe alle Jahre ein unſchuldiges Kind ha¬ ben, er leide keinen todten Körper, und werfe ihn früh oder ſpät ans Ufer, ja ſogar das letzte Knöchelchen, wenn es zu Grunde geſunken ſey, müſſe wieder heraus. Man erzählte die Geſchichte einer untröſtlichen Mutter, deren Kind im See ertrunken ſey, und die Gott und ſeine Heiligen angerufen habe, nur wenigſtens ihr die Gebeine zum Begräbniß zu gönnen; der nächſte Sturm habe den Schädel, der folgende den Rumpf ans Ufer gebracht, und nachdem alles bey¬ ſammen geweſen, habe ſie ſämmtliche Ge¬ beine in einem Tuch zur Kirche getragen, aber, o Wunder! als ſie in den Tempel ge¬
W. Meiſters Lehrj. 4. F f
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zu ſich genommen und ſo bewahrt habe, ein
größeres Unglück zu erdulden oder zu ſtiften.
Bey dieſer Gelegenheit kamen alle Mähr¬
chen zur Sprache, die man von unſern Waſ¬
ſern zu erzählen pflegt. Es hieß: der See
müſſe alle Jahre ein unſchuldiges Kind ha¬
ben, er leide keinen todten Körper, und
werfe ihn früh oder ſpät ans Ufer, ja ſogar
das letzte Knöchelchen, wenn es zu Grunde
geſunken ſey, müſſe wieder heraus. Man
erzählte die Geſchichte einer untröſtlichen
Mutter, deren Kind im See ertrunken ſey,
und die Gott und ſeine Heiligen angerufen
habe, nur wenigſtens ihr die Gebeine zum
Begräbniß zu gönnen; der nächſte Sturm
habe den Schädel, der folgende den Rumpf
ans Ufer gebracht, und nachdem alles bey¬
ſammen geweſen, habe ſie ſämmtliche Ge¬
beine in einem Tuch zur Kirche getragen,
aber, o Wunder! als ſie in den Tempel ge¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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