Ich bin gestraft genug! rief Wilhelm aus, erinnern Sie mich nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. Man spricht viel vom Theater, aber wer nicht selbst darauf war, kann sich keine Vorstellung davon machen. Wie völlig diese Menschen mit sich selbst un¬ bekannt sind, wie sie ihr Geschäft ohne Nach¬ denken treiben, wie ihre Anforderungen ohne Grenzen sind, davon hat man keinen Be¬ griff. Nicht allein will jeder der erste, son¬ dern auch der einzige seyn, jeder möchte gerne alle übrigen ausschließen, und sieht nicht, daß er mit ihnen, zusammen kaum et¬ was leistet; jeder dünkt sich wunder Origi¬ nal zu seyn, und ist unfähig sich in etwas zu finden, was außer dem Schlendrian ist; dabey eine immerwährende Unruhe nach et¬ was neuem. Mit welcher Heftigkeit wirken sie gegen einander! und nur die kleinlichste Eigenliebe, der beschränkteste Eigennutz macht,
Ich bin geſtraft genug! rief Wilhelm aus, erinnern Sie mich nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. Man ſpricht viel vom Theater, aber wer nicht ſelbſt darauf war, kann ſich keine Vorſtellung davon machen. Wie völlig dieſe Menſchen mit ſich ſelbſt un¬ bekannt ſind, wie ſie ihr Geſchäft ohne Nach¬ denken treiben, wie ihre Anforderungen ohne Grenzen ſind, davon hat man keinen Be¬ griff. Nicht allein will jeder der erſte, ſon¬ dern auch der einzige ſeyn, jeder möchte gerne alle übrigen ausſchließen, und ſieht nicht, daß er mit ihnen, zuſammen kaum et¬ was leiſtet; jeder dünkt ſich wunder Origi¬ nal zu ſeyn, und iſt unfähig ſich in etwas zu finden, was außer dem Schlendrian iſt; dabey eine immerwährende Unruhe nach et¬ was neuem. Mit welcher Heftigkeit wirken ſie gegen einander! und nur die kleinlichſte Eigenliebe, der beſchränkteſte Eigennutz macht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0045"n="41"/><p>Ich bin geſtraft genug! rief Wilhelm aus,<lb/>
erinnern Sie mich nicht, woher ich komme<lb/>
und wohin ich gehe. Man ſpricht viel vom<lb/>
Theater, aber wer nicht ſelbſt darauf war,<lb/>
kann ſich keine Vorſtellung davon machen.<lb/>
Wie völlig dieſe Menſchen mit ſich ſelbſt un¬<lb/>
bekannt ſind, wie ſie ihr Geſchäft ohne Nach¬<lb/>
denken treiben, wie ihre Anforderungen ohne<lb/>
Grenzen ſind, davon hat man keinen Be¬<lb/>
griff. Nicht allein will jeder der erſte, ſon¬<lb/>
dern auch der einzige ſeyn, jeder möchte<lb/>
gerne alle übrigen ausſchließen, und ſieht<lb/>
nicht, daß er mit ihnen, zuſammen kaum et¬<lb/>
was leiſtet; jeder dünkt ſich wunder Origi¬<lb/>
nal zu ſeyn, und iſt unfähig ſich in etwas<lb/>
zu finden, was außer dem Schlendrian iſt;<lb/>
dabey eine immerwährende Unruhe nach et¬<lb/>
was neuem. Mit welcher Heftigkeit wirken<lb/>ſie gegen einander! und nur die kleinlichſte<lb/>
Eigenliebe, der beſchränkteſte Eigennutz macht,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[41/0045]
Ich bin geſtraft genug! rief Wilhelm aus,
erinnern Sie mich nicht, woher ich komme
und wohin ich gehe. Man ſpricht viel vom
Theater, aber wer nicht ſelbſt darauf war,
kann ſich keine Vorſtellung davon machen.
Wie völlig dieſe Menſchen mit ſich ſelbſt un¬
bekannt ſind, wie ſie ihr Geſchäft ohne Nach¬
denken treiben, wie ihre Anforderungen ohne
Grenzen ſind, davon hat man keinen Be¬
griff. Nicht allein will jeder der erſte, ſon¬
dern auch der einzige ſeyn, jeder möchte
gerne alle übrigen ausſchließen, und ſieht
nicht, daß er mit ihnen, zuſammen kaum et¬
was leiſtet; jeder dünkt ſich wunder Origi¬
nal zu ſeyn, und iſt unfähig ſich in etwas
zu finden, was außer dem Schlendrian iſt;
dabey eine immerwährende Unruhe nach et¬
was neuem. Mit welcher Heftigkeit wirken
ſie gegen einander! und nur die kleinlichſte
Eigenliebe, der beſchränkteſte Eigennutz macht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/45>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.