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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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kümmerlichen Märtyrerthum führt. Deswe¬
gen bieten die Künstler unserer Zeit nur im¬
mer an, um niemals zu geben. Sie wollen
immer reizen, um niemals zu befriedigen;
alles ist nur angedeutet, und man findet
nirgends Grund noch Ausführung. Man
darf aber auch nur eine Zeit lang ruhig in
einer Gallerie verweilen, und beobachten,
nach welchen Kunstwerken sich die Menge
zieht, welche gepriesen und welche vernach¬
läßigt werden, so hat man wenig Lust an
der Gegenwart, und für die Zukunft wenig
Hoffnung.

Ja, versetzte der Abbe, und so bilden
sich Liebhaber und Künstler wechselsweise; der
Liebhaber sucht nur einen allgemeinen unbe¬
stimmten Genuß, das Kunstwerk soll ihm
ohngefähr wie ein Naturwerk behagen, und
die Menschen glauben, die Organe, ein
Kunstwerk zu genießen, bildeten sich eben

kümmerlichen Märtyrerthum führt. Deswe¬
gen bieten die Künſtler unſerer Zeit nur im¬
mer an, um niemals zu geben. Sie wollen
immer reizen, um niemals zu befriedigen;
alles iſt nur angedeutet, und man findet
nirgends Grund noch Ausführung. Man
darf aber auch nur eine Zeit lang ruhig in
einer Gallerie verweilen, und beobachten,
nach welchen Kunſtwerken ſich die Menge
zieht, welche geprieſen und welche vernach¬
läßigt werden, ſo hat man wenig Luſt an
der Gegenwart, und für die Zukunft wenig
Hoffnung.

Ja, verſetzte der Abbé, und ſo bilden
ſich Liebhaber und Künſtler wechſelsweiſe; der
Liebhaber ſucht nur einen allgemeinen unbe¬
ſtimmten Genuß, das Kunſtwerk ſoll ihm
ohngefähr wie ein Naturwerk behagen, und
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[408/0412] kümmerlichen Märtyrerthum führt. Deswe¬ gen bieten die Künſtler unſerer Zeit nur im¬ mer an, um niemals zu geben. Sie wollen immer reizen, um niemals zu befriedigen; alles iſt nur angedeutet, und man findet nirgends Grund noch Ausführung. Man darf aber auch nur eine Zeit lang ruhig in einer Gallerie verweilen, und beobachten, nach welchen Kunſtwerken ſich die Menge zieht, welche geprieſen und welche vernach¬ läßigt werden, ſo hat man wenig Luſt an der Gegenwart, und für die Zukunft wenig Hoffnung. Ja, verſetzte der Abbé, und ſo bilden ſich Liebhaber und Künſtler wechſelsweiſe; der Liebhaber ſucht nur einen allgemeinen unbe¬ ſtimmten Genuß, das Kunſtwerk ſoll ihm ohngefähr wie ein Naturwerk behagen, und die Menſchen glauben, die Organe, ein Kunſtwerk zu genießen, bildeten ſich eben

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/412>, abgerufen am 22.11.2024.