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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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mehr Herz und Klugheit mir unwiderstehlich
gebieten, mich von so mancherley Banden
loszureißen, die mir eine ewige, elende Ge¬
fangenschaft drohen.

So sprach er, mit einem lebhaft beweg¬
ten Gemüth. Ein Blick auf Natalien beru¬
higte ihn einigermaßen, indem sich in die¬
sem leidenschaftlichen Augenblick, ihre Gestalt
und ihr Werth nur desto tiefer bey ihm ein¬
drückten.

Ja, sagte er zu sich selbst, indem er sich
allein fand, gestehe dir nur, du liebst sie,
und du fühlst wieder, was es heiße, wenn
der Mensch mit allen Kräften lieben kann.
So liebte ich Marianen, und ward so schreck¬
lich an ihr irre; ich liebte Philinen und
mußte sie verachten. Aurelien achtete ich,
und konnte sie nicht lieben; ich verehrte The¬
resen, und die väterliche Liebe nahm die
Gestalt einer Neigung zu ihr an, und jetzt

mehr Herz und Klugheit mir unwiderſtehlich
gebieten, mich von ſo mancherley Banden
loszureißen, die mir eine ewige, elende Ge¬
fangenſchaft drohen.

So ſprach er, mit einem lebhaft beweg¬
ten Gemüth. Ein Blick auf Natalien beru¬
higte ihn einigermaßen, indem ſich in die¬
ſem leidenſchaftlichen Augenblick, ihre Geſtalt
und ihr Werth nur deſto tiefer bey ihm ein¬
drückten.

Ja, ſagte er zu ſich ſelbſt, indem er ſich
allein fand, geſtehe dir nur, du liebſt ſie,
und du fühlſt wieder, was es heiße, wenn
der Menſch mit allen Kräften lieben kann.
So liebte ich Marianen, und ward ſo ſchreck¬
lich an ihr irre; ich liebte Philinen und
mußte ſie verachten. Aurelien achtete ich,
und konnte ſie nicht lieben; ich verehrte The¬
reſen, und die väterliche Liebe nahm die
Geſtalt einer Neigung zu ihr an, und jetzt

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[396/0400] mehr Herz und Klugheit mir unwiderſtehlich gebieten, mich von ſo mancherley Banden loszureißen, die mir eine ewige, elende Ge¬ fangenſchaft drohen. So ſprach er, mit einem lebhaft beweg¬ ten Gemüth. Ein Blick auf Natalien beru¬ higte ihn einigermaßen, indem ſich in die¬ ſem leidenſchaftlichen Augenblick, ihre Geſtalt und ihr Werth nur deſto tiefer bey ihm ein¬ drückten. Ja, ſagte er zu ſich ſelbſt, indem er ſich allein fand, geſtehe dir nur, du liebſt ſie, und du fühlſt wieder, was es heiße, wenn der Menſch mit allen Kräften lieben kann. So liebte ich Marianen, und ward ſo ſchreck¬ lich an ihr irre; ich liebte Philinen und mußte ſie verachten. Aurelien achtete ich, und konnte ſie nicht lieben; ich verehrte The¬ reſen, und die väterliche Liebe nahm die Geſtalt einer Neigung zu ihr an, und jetzt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/400>, abgerufen am 25.11.2024.