Frau von *** lebte die ersten Jahre ih¬ res Ehestandes mit ihrem Gemahl in dem besten Vernehmen, nur hatten sie das Un¬ glück, daß die Kinder, zu denen einigemal Hoffnung war, todt zur Welt kamen, und bey dem dritten die Ärzte schon beynahe der Mutter den Tod verkündigten, und ihn bey einem folgenden als ganz unvermeidlich weis¬ sagten. Man war genöthigt sich zu ent¬ schließen, man wollte das Eheband nicht aufheben, man befand sich, bürgerlich ge¬ nommen, zu wohl. Frau von *** suchte in der Ausbildung ihres Geistes, in einer gewissen Repräsentation, in den Freuden der Eitelkeit, eine Art von Entschädigung für das Mutterglück, das ihr versagt war. Sie sah ihrem Gemahl mit sehr viel Heiterkeit nach, als er Neigung zu einem Frauenzim¬ mer faßte, welche die ganze Haushaltung versah, eine schöne Gestalt und einen sehr
Frau von *** lebte die erſten Jahre ih¬ res Eheſtandes mit ihrem Gemahl in dem beſten Vernehmen, nur hatten ſie das Un¬ glück, daß die Kinder, zu denen einigemal Hoffnung war, todt zur Welt kamen, und bey dem dritten die Ärzte ſchon beynahe der Mutter den Tod verkündigten, und ihn bey einem folgenden als ganz unvermeidlich weiſ¬ ſagten. Man war genöthigt ſich zu ent¬ ſchließen, man wollte das Eheband nicht aufheben, man befand ſich, bürgerlich ge¬ nommen, zu wohl. Frau von *** ſuchte in der Ausbildung ihres Geiſtes, in einer gewiſſen Repräſentation, in den Freuden der Eitelkeit, eine Art von Entſchädigung für das Mutterglück, das ihr verſagt war. Sie ſah ihrem Gemahl mit ſehr viel Heiterkeit nach, als er Neigung zu einem Frauenzim¬ mer faßte, welche die ganze Haushaltung verſah, eine ſchöne Geſtalt und einen ſehr
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Frau von *** lebte die erſten Jahre ih¬
res Eheſtandes mit ihrem Gemahl in dem
beſten Vernehmen, nur hatten ſie das Un¬
glück, daß die Kinder, zu denen einigemal
Hoffnung war, todt zur Welt kamen, und
bey dem dritten die Ärzte ſchon beynahe der
Mutter den Tod verkündigten, und ihn bey
einem folgenden als ganz unvermeidlich weiſ¬
ſagten. Man war genöthigt ſich zu ent¬
ſchließen, man wollte das Eheband nicht
aufheben, man befand ſich, bürgerlich ge¬
nommen, zu wohl. Frau von *** ſuchte
in der Ausbildung ihres Geiſtes, in einer
gewiſſen Repräſentation, in den Freuden der
Eitelkeit, eine Art von Entſchädigung für
das Mutterglück, das ihr verſagt war. Sie
ſah ihrem Gemahl mit ſehr viel Heiterkeit
nach, als er Neigung zu einem Frauenzim¬
mer faßte, welche die ganze Haushaltung
verſah, eine ſchöne Geſtalt und einen ſehr
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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