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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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men und Mittheilen im Kleinen. Vielleicht
könnte Lothario in Einem Tage zerstöhren,
woran dieser Jahre lang gebaut hat; aber
vielleicht theilt auch Lothario, in einem Au¬
genblick, andern die Kraft mit, das Zer¬
stöhrte hundertfältig wieder herzustellen. --
Es ist ein trauriges Geschäft, sagte Wilhelm,
wenn man über die reinen Vorzüge der an¬
dern in einem Augenblicke denken soll, da
man mit sich selbst uneins ist; solche Betrach¬
tungen stehen dem ruhigen Manne wohl an,
nicht dem, der von Leidenschaft und Unge¬
wisheit bewegt ist. -- Ruhig und vernünf¬
tig zu betrachten ist zu keiner Zeit schädlich,
und indem wir uns gewöhnen über die Vor¬
züge anderer zu denken, stellen sich die un¬
sern unvermerkt selbst an ihren Platz, und
jede falsche Thätigkeit, wozu uns die Phan¬
tasie lockt, wird alsdann gern von uns auf¬
gegeben. Befreyen Sie wo möglich Ihren

men und Mittheilen im Kleinen. Vielleicht
könnte Lothario in Einem Tage zerſtöhren,
woran dieſer Jahre lang gebaut hat; aber
vielleicht theilt auch Lothario, in einem Au¬
genblick, andern die Kraft mit, das Zer¬
ſtöhrte hundertfältig wieder herzuſtellen. —
Es iſt ein trauriges Geſchäft, ſagte Wilhelm,
wenn man über die reinen Vorzüge der an¬
dern in einem Augenblicke denken ſoll, da
man mit ſich ſelbſt uneins iſt; ſolche Betrach¬
tungen ſtehen dem ruhigen Manne wohl an,
nicht dem, der von Leidenſchaft und Unge¬
wisheit bewegt iſt. — Ruhig und vernünf¬
tig zu betrachten iſt zu keiner Zeit ſchädlich,
und indem wir uns gewöhnen über die Vor¬
züge anderer zu denken, ſtellen ſich die un¬
ſern unvermerkt ſelbſt an ihren Platz, und
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gegeben. Befreyen Sie wo möglich Ihren

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[359/0363] men und Mittheilen im Kleinen. Vielleicht könnte Lothario in Einem Tage zerſtöhren, woran dieſer Jahre lang gebaut hat; aber vielleicht theilt auch Lothario, in einem Au¬ genblick, andern die Kraft mit, das Zer¬ ſtöhrte hundertfältig wieder herzuſtellen. — Es iſt ein trauriges Geſchäft, ſagte Wilhelm, wenn man über die reinen Vorzüge der an¬ dern in einem Augenblicke denken ſoll, da man mit ſich ſelbſt uneins iſt; ſolche Betrach¬ tungen ſtehen dem ruhigen Manne wohl an, nicht dem, der von Leidenſchaft und Unge¬ wisheit bewegt iſt. — Ruhig und vernünf¬ tig zu betrachten iſt zu keiner Zeit ſchädlich, und indem wir uns gewöhnen über die Vor¬ züge anderer zu denken, ſtellen ſich die un¬ ſern unvermerkt ſelbſt an ihren Platz, und jede falſche Thätigkeit, wozu uns die Phan¬ taſie lockt, wird alsdann gern von uns auf¬ gegeben. Befreyen Sie wo möglich Ihren

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/363>, abgerufen am 22.11.2024.