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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Einsicht, Ordnung, Zucht, Befehl, das ist
meine Sache. Ich erinnere mich noch wohl,
was Jarno sagte: Therese dressirt ihre Zög¬
linge, Natalie bildet sie. Ja er ging so
weit, daß er mir einst die drey schönen Ei¬
genschaften Glaube, Liebe und Hoffnung völ¬
lig absprach. Statt des Glaubens, sagte er,
hat sie die Einsicht, statt der Liebe, die Be¬
harrlichkeit und statt der Hoffnung das Zu¬
trauen. Auch will ich Dir gerne gestehen,
ehe ich Dich kannte, kannte ich nichts Hö¬
heres in der Welt als Klarheit und Klug¬
heit, nur Deine Gegenwart hat mich über¬
zeugt, belebt, überwunden, und Deiner schö¬
nen hohen Seele tret ich gerne den Rang
ab. Auch meinen Freund verehre ich in
eben demselben Sinn, seine Lebensbeschrei¬
bung ist ein ewiges Suchen und nicht fin¬
den; aber nicht das leere Suchen, sondern
das wunderbare, gutmüthige Suchen begabt

Einſicht, Ordnung, Zucht, Befehl, das iſt
meine Sache. Ich erinnere mich noch wohl,
was Jarno ſagte: Thereſe dreſſirt ihre Zög¬
linge, Natalie bildet ſie. Ja er ging ſo
weit, daß er mir einſt die drey ſchönen Ei¬
genſchaften Glaube, Liebe und Hoffnung völ¬
lig abſprach. Statt des Glaubens, ſagte er,
hat ſie die Einſicht, ſtatt der Liebe, die Be¬
harrlichkeit und ſtatt der Hoffnung das Zu¬
trauen. Auch will ich Dir gerne geſtehen,
ehe ich Dich kannte, kannte ich nichts Hö¬
heres in der Welt als Klarheit und Klug¬
heit, nur Deine Gegenwart hat mich über¬
zeugt, belebt, überwunden, und Deiner ſchö¬
nen hohen Seele tret ich gerne den Rang
ab. Auch meinen Freund verehre ich in
eben demſelben Sinn, ſeine Lebensbeſchrei¬
bung iſt ein ewiges Suchen und nicht fin¬
den; aber nicht das leere Suchen, ſondern
das wunderbare, gutmüthige Suchen begabt

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[302/0306] Einſicht, Ordnung, Zucht, Befehl, das iſt meine Sache. Ich erinnere mich noch wohl, was Jarno ſagte: Thereſe dreſſirt ihre Zög¬ linge, Natalie bildet ſie. Ja er ging ſo weit, daß er mir einſt die drey ſchönen Ei¬ genſchaften Glaube, Liebe und Hoffnung völ¬ lig abſprach. Statt des Glaubens, ſagte er, hat ſie die Einſicht, ſtatt der Liebe, die Be¬ harrlichkeit und ſtatt der Hoffnung das Zu¬ trauen. Auch will ich Dir gerne geſtehen, ehe ich Dich kannte, kannte ich nichts Hö¬ heres in der Welt als Klarheit und Klug¬ heit, nur Deine Gegenwart hat mich über¬ zeugt, belebt, überwunden, und Deiner ſchö¬ nen hohen Seele tret ich gerne den Rang ab. Auch meinen Freund verehre ich in eben demſelben Sinn, ſeine Lebensbeſchrei¬ bung iſt ein ewiges Suchen und nicht fin¬ den; aber nicht das leere Suchen, ſondern das wunderbare, gutmüthige Suchen begabt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/306>, abgerufen am 22.11.2024.