Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

und uns mit unsern Gütern nach Belieben
zu schalten erlauben wollte, daß wir sie
nicht in so großen Massen zusammenhalten
müßten, daß wir sie unter unsere Kinder
gleicher vertheilen könnten, um alle in eine
lebhafte freye Thätigkeit zu versetzen, statt
ihnen nur die beschränkten und beschränken¬
den Vorrechte zu hinterlassen, welche zu ge¬
nießen wir immer die Geister unserer Vor¬
fahren hervorrufen müssen. Wie viel glück¬
licher wären Männer und Frauen, wenn sie
mit freyen Augen umher sehen, und bald
ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen
Jüngling, ohne andere Rücksichten, durch ihre
Wahl erheben könnten. Der Staat würde
mehr, vielleicht bessere Bürger haben, und
nicht so oft um Köpfe und Hände verlegen
seyn.

Ich kann Sie versichern, sagte Werner,
daß ich in meinem Leben nie an den Staat

und uns mit unſern Gütern nach Belieben
zu ſchalten erlauben wollte, daß wir ſie
nicht in ſo großen Maſſen zuſammenhalten
müßten, daß wir ſie unter unſere Kinder
gleicher vertheilen könnten, um alle in eine
lebhafte freye Thätigkeit zu verſetzen, ſtatt
ihnen nur die beſchränkten und beſchränken¬
den Vorrechte zu hinterlaſſen, welche zu ge¬
nießen wir immer die Geiſter unſerer Vor¬
fahren hervorrufen müſſen. Wie viel glück¬
licher wären Männer und Frauen, wenn ſie
mit freyen Augen umher ſehen, und bald
ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen
Jüngling, ohne andere Rückſichten, durch ihre
Wahl erheben könnten. Der Staat würde
mehr, vielleicht beſſere Bürger haben, und
nicht ſo oft um Köpfe und Hände verlegen
ſeyn.

Ich kann Sie verſichern, ſagte Werner,
daß ich in meinem Leben nie an den Staat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0243" n="239"/>
und uns mit un&#x017F;ern Gütern nach Belieben<lb/>
zu &#x017F;chalten erlauben wollte, daß wir &#x017F;ie<lb/>
nicht in &#x017F;o großen Ma&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;ammenhalten<lb/>
müßten, daß wir &#x017F;ie unter un&#x017F;ere Kinder<lb/>
gleicher vertheilen könnten, um alle in eine<lb/>
lebhafte freye Thätigkeit zu ver&#x017F;etzen, &#x017F;tatt<lb/>
ihnen nur die be&#x017F;chränkten und be&#x017F;chränken¬<lb/>
den Vorrechte zu hinterla&#x017F;&#x017F;en, welche zu ge¬<lb/>
nießen wir immer die Gei&#x017F;ter un&#x017F;erer Vor¬<lb/>
fahren hervorrufen mü&#x017F;&#x017F;en. Wie viel glück¬<lb/>
licher wären Männer und Frauen, wenn &#x017F;ie<lb/>
mit freyen Augen umher &#x017F;ehen, und bald<lb/>
ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen<lb/>
Jüngling, ohne andere Rück&#x017F;ichten, durch ihre<lb/>
Wahl erheben könnten. Der Staat würde<lb/>
mehr, vielleicht be&#x017F;&#x017F;ere Bürger haben, und<lb/>
nicht &#x017F;o oft um Köpfe und Hände verlegen<lb/>
&#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Ich kann Sie ver&#x017F;ichern, &#x017F;agte Werner,<lb/>
daß ich in meinem Leben nie an den Staat<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0243] und uns mit unſern Gütern nach Belieben zu ſchalten erlauben wollte, daß wir ſie nicht in ſo großen Maſſen zuſammenhalten müßten, daß wir ſie unter unſere Kinder gleicher vertheilen könnten, um alle in eine lebhafte freye Thätigkeit zu verſetzen, ſtatt ihnen nur die beſchränkten und beſchränken¬ den Vorrechte zu hinterlaſſen, welche zu ge¬ nießen wir immer die Geiſter unſerer Vor¬ fahren hervorrufen müſſen. Wie viel glück¬ licher wären Männer und Frauen, wenn ſie mit freyen Augen umher ſehen, und bald ein würdiges Mädchen, bald einen trefflichen Jüngling, ohne andere Rückſichten, durch ihre Wahl erheben könnten. Der Staat würde mehr, vielleicht beſſere Bürger haben, und nicht ſo oft um Köpfe und Hände verlegen ſeyn. Ich kann Sie verſichern, ſagte Werner, daß ich in meinem Leben nie an den Staat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/243
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/243>, abgerufen am 27.11.2024.