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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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alle Umstände durch dieß Manuscript in sein
Gedächtniß zurück kamen, die Geschichte sei¬
nes Lebens für Theresen aufzusetzen, und er
schämte sich fast, daß er gegen ihre große
Tugenden nichts aufzustellen hatte, was eine
zweckmäßige Thätigkeit beweisen konnte. So
umständlich er in dem Aufsatze war, so kurz
faßte er sich in dem Briefe, den er an sie
schrieb; er bat sie um ihre Freundschaft, um
ihre Liebe, wenns möglich wäre, er bot ihr
seine Hand an, und bat sie um baldige Ent¬
scheidung.

Nach einigem innerlichen Streit, ob er
diese wichtige Sache noch erst mit seinen
Freunden, mit Jarno und dem Abbe bera¬
then solle? entschied er sich zu schweigen.
Er war zu fest entschlossen, die Sache war
für ihn zu wichtig, als daß er sie noch hätte
dem Urtheil des vernünftigsten und besten
Mannes unterwerfen mögen; ja sogar brauchte

alle Umſtände durch dieß Manuſcript in ſein
Gedächtniß zurück kamen, die Geſchichte ſei¬
nes Lebens für Thereſen aufzuſetzen, und er
ſchämte ſich faſt, daß er gegen ihre große
Tugenden nichts aufzuſtellen hatte, was eine
zweckmäßige Thätigkeit beweiſen konnte. So
umſtändlich er in dem Aufſatze war, ſo kurz
faßte er ſich in dem Briefe, den er an ſie
ſchrieb; er bat ſie um ihre Freundſchaft, um
ihre Liebe, wenns möglich wäre, er bot ihr
ſeine Hand an, und bat ſie um baldige Ent¬
ſcheidung.

Nach einigem innerlichen Streit, ob er
dieſe wichtige Sache noch erſt mit ſeinen
Freunden, mit Jarno und dem Abbé bera¬
then ſolle? entſchied er ſich zu ſchweigen.
Er war zu feſt entſchloſſen, die Sache war
für ihn zu wichtig, als daß er ſie noch hätte
dem Urtheil des vernünftigſten und beſten
Mannes unterwerfen mögen; ja ſogar brauchte

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[233/0237] alle Umſtände durch dieß Manuſcript in ſein Gedächtniß zurück kamen, die Geſchichte ſei¬ nes Lebens für Thereſen aufzuſetzen, und er ſchämte ſich faſt, daß er gegen ihre große Tugenden nichts aufzuſtellen hatte, was eine zweckmäßige Thätigkeit beweiſen konnte. So umſtändlich er in dem Aufſatze war, ſo kurz faßte er ſich in dem Briefe, den er an ſie ſchrieb; er bat ſie um ihre Freundſchaft, um ihre Liebe, wenns möglich wäre, er bot ihr ſeine Hand an, und bat ſie um baldige Ent¬ ſcheidung. Nach einigem innerlichen Streit, ob er dieſe wichtige Sache noch erſt mit ſeinen Freunden, mit Jarno und dem Abbé bera¬ then ſolle? entſchied er ſich zu ſchweigen. Er war zu feſt entſchloſſen, die Sache war für ihn zu wichtig, als daß er ſie noch hätte dem Urtheil des vernünftigſten und beſten Mannes unterwerfen mögen; ja ſogar brauchte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/237>, abgerufen am 24.11.2024.