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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Ihre freundschaftliche Auslegung mein Ge¬
wissen nicht beruhigen, und ich werde mir
immer als Ihr Schuldner vorkommen.

Es ist auch wohl möglich, daß Sie es
sind, versetzte Madame Melina, nur nicht
auf die Art, wie Sie es denken. Wir rech¬
nen uns zur Schande ein Versprechen nicht
zu erfüllen, das wir mit dem Munde ge¬
than haben. O, mein Freund, ein guter
Mensch verspricht durch seine Gegenwart
nur immer zu viel! Das Vertrauen, das
er hervor lockt, die Neigung, die er ein¬
flößt, die Hoffnungen, die er erregt, sind
unendlich, er wird und bleibt ein Schuldner,
ohne es zu wissen. Leben Sie wohl. Wenn
unsere äußeren Umstände sich unter Ihrer
Leitung recht glücklich hergestellt haben; so
entsteht in meinen Innern durch Ihren Ab¬
schied eine Lücke, die sich so leicht nicht wie¬
der ausfüllen wird.

Wilhelm

Ihre freundſchaftliche Auslegung mein Ge¬
wiſſen nicht beruhigen, und ich werde mir
immer als Ihr Schuldner vorkommen.

Es iſt auch wohl möglich, daß Sie es
ſind, verſetzte Madame Melina, nur nicht
auf die Art, wie Sie es denken. Wir rech¬
nen uns zur Schande ein Verſprechen nicht
zu erfüllen, das wir mit dem Munde ge¬
than haben. O, mein Freund, ein guter
Menſch verſpricht durch ſeine Gegenwart
nur immer zu viel! Das Vertrauen, das
er hervor lockt, die Neigung, die er ein¬
flößt, die Hoffnungen, die er erregt, ſind
unendlich, er wird und bleibt ein Schuldner,
ohne es zu wiſſen. Leben Sie wohl. Wenn
unſere äußeren Umſtände ſich unter Ihrer
Leitung recht glücklich hergeſtellt haben; ſo
entſteht in meinen Innern durch Ihren Ab¬
ſchied eine Lücke, die ſich ſo leicht nicht wie¬
der ausfüllen wird.

Wilhelm
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[192/0196] Ihre freundſchaftliche Auslegung mein Ge¬ wiſſen nicht beruhigen, und ich werde mir immer als Ihr Schuldner vorkommen. Es iſt auch wohl möglich, daß Sie es ſind, verſetzte Madame Melina, nur nicht auf die Art, wie Sie es denken. Wir rech¬ nen uns zur Schande ein Verſprechen nicht zu erfüllen, das wir mit dem Munde ge¬ than haben. O, mein Freund, ein guter Menſch verſpricht durch ſeine Gegenwart nur immer zu viel! Das Vertrauen, das er hervor lockt, die Neigung, die er ein¬ flößt, die Hoffnungen, die er erregt, ſind unendlich, er wird und bleibt ein Schuldner, ohne es zu wiſſen. Leben Sie wohl. Wenn unſere äußeren Umſtände ſich unter Ihrer Leitung recht glücklich hergeſtellt haben; ſo entſteht in meinen Innern durch Ihren Ab¬ ſchied eine Lücke, die ſich ſo leicht nicht wie¬ der ausfüllen wird. Wilhelm

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/196>, abgerufen am 23.11.2024.