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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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ten nun ein für allemal vorbey gehen, man
wollte Sie wenigstens sehen, so ging der
ganze Tag unruhig hin. Nachts, zur ge¬
wöhnlichen Stunde, erwarteten wir Sie ganz
gewis, ich paßte schon an der Treppe, die
Zeit ward mir lang, ich ging wieder zu ihr
hinein. Ich fand sie zu meiner Verwunde¬
rung in ihrer Officierstracht, sie sah unglaub¬
lich heiter und reizend aus. Verdien' ich
nicht, sagte sie, heute in Mannstracht zu
erscheinen? habe ich mich nicht brav gehal¬
ten. Mein Geliebter soll mich heute wie
das erstemal sehen, ich will ihn so zärtlich
und mit mehr Freiheit an mein Herz drücken,
als damals; denn bin ich jetzt nicht vielmehr
die seine als damals, da mich ein edler Ent¬
schluß noch nicht frey gemacht hatte? Aber,
fügte sie nach einigem Nachdenken hinzu,
noch hab ich nicht ganz gewonnen, noch muß
ich erst das Äußerste wagen, um seiner werth,

ten nun ein für allemal vorbey gehen, man
wollte Sie wenigſtens ſehen, ſo ging der
ganze Tag unruhig hin. Nachts, zur ge¬
wöhnlichen Stunde, erwarteten wir Sie ganz
gewis, ich paßte ſchon an der Treppe, die
Zeit ward mir lang, ich ging wieder zu ihr
hinein. Ich fand ſie zu meiner Verwunde¬
rung in ihrer Officierstracht, ſie ſah unglaub¬
lich heiter und reizend aus. Verdien’ ich
nicht, ſagte ſie, heute in Mannstracht zu
erſcheinen? habe ich mich nicht brav gehal¬
ten. Mein Geliebter ſoll mich heute wie
das erſtemal ſehen, ich will ihn ſo zärtlich
und mit mehr Freiheit an mein Herz drücken,
als damals; denn bin ich jetzt nicht vielmehr
die ſeine als damals, da mich ein edler Ent¬
ſchluß noch nicht frey gemacht hatte? Aber,
fügte ſie nach einigem Nachdenken hinzu,
noch hab ich nicht ganz gewonnen, noch muß
ich erſt das Äußerſte wagen, um ſeiner werth,

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[164/0168] ten nun ein für allemal vorbey gehen, man wollte Sie wenigſtens ſehen, ſo ging der ganze Tag unruhig hin. Nachts, zur ge¬ wöhnlichen Stunde, erwarteten wir Sie ganz gewis, ich paßte ſchon an der Treppe, die Zeit ward mir lang, ich ging wieder zu ihr hinein. Ich fand ſie zu meiner Verwunde¬ rung in ihrer Officierstracht, ſie ſah unglaub¬ lich heiter und reizend aus. Verdien’ ich nicht, ſagte ſie, heute in Mannstracht zu erſcheinen? habe ich mich nicht brav gehal¬ ten. Mein Geliebter ſoll mich heute wie das erſtemal ſehen, ich will ihn ſo zärtlich und mit mehr Freiheit an mein Herz drücken, als damals; denn bin ich jetzt nicht vielmehr die ſeine als damals, da mich ein edler Ent¬ ſchluß noch nicht frey gemacht hatte? Aber, fügte ſie nach einigem Nachdenken hinzu, noch hab ich nicht ganz gewonnen, noch muß ich erſt das Äußerſte wagen, um ſeiner werth,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/168>, abgerufen am 23.11.2024.