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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

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Verwickelung von Umständen ihr Vermögen,
das arme Mädchen war an mancherley Be¬
dürfnisse gewöhnt, und ihrem kleinen Ge¬
müth waren gewisse gute Grundsätze einge¬
prägt, die sie unruhig machten, ohne ihr
viel zu helfen. Sie hatte nicht die mindeste
Gewandtheit in weltlichen Dingen, sie war
unschuldig im eigentlichen Sinne; sie hatte
keinen Begriff, daß man kaufen könne, ohne
zu bezahlen, für nichts war ihr mehr bange,
als wenn sie schuldig war, sie hätte immer
lieber gegeben als genommen, und nur eine
solche Lage machte es möglich, daß sie ge¬
nöthigt ward, sich selbst hinzugeben, um eine
Menge kleiner Schulden los zu werden.

Und hättest Du, fuhr Wilhelm auf, sie
nicht retten können?

O ja, versetzte die Alte, mit Hunger und
Noth, mit Kummer und Entbehrung, und
darauf war ich niemals eingerichtet.

Verwickelung von Umſtänden ihr Vermögen,
das arme Mädchen war an mancherley Be¬
dürfniſſe gewöhnt, und ihrem kleinen Ge¬
müth waren gewiſſe gute Grundſätze einge¬
prägt, die ſie unruhig machten, ohne ihr
viel zu helfen. Sie hatte nicht die mindeſte
Gewandtheit in weltlichen Dingen, ſie war
unſchuldig im eigentlichen Sinne; ſie hatte
keinen Begriff, daß man kaufen könne, ohne
zu bezahlen, für nichts war ihr mehr bange,
als wenn ſie ſchuldig war, ſie hätte immer
lieber gegeben als genommen, und nur eine
ſolche Lage machte es möglich, daß ſie ge¬
nöthigt ward, ſich ſelbſt hinzugeben, um eine
Menge kleiner Schulden los zu werden.

Und hätteſt Du, fuhr Wilhelm auf, ſie
nicht retten können?

O ja, verſetzte die Alte, mit Hunger und
Noth, mit Kummer und Entbehrung, und
darauf war ich niemals eingerichtet.

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[157/0161] Verwickelung von Umſtänden ihr Vermögen, das arme Mädchen war an mancherley Be¬ dürfniſſe gewöhnt, und ihrem kleinen Ge¬ müth waren gewiſſe gute Grundſätze einge¬ prägt, die ſie unruhig machten, ohne ihr viel zu helfen. Sie hatte nicht die mindeſte Gewandtheit in weltlichen Dingen, ſie war unſchuldig im eigentlichen Sinne; ſie hatte keinen Begriff, daß man kaufen könne, ohne zu bezahlen, für nichts war ihr mehr bange, als wenn ſie ſchuldig war, ſie hätte immer lieber gegeben als genommen, und nur eine ſolche Lage machte es möglich, daß ſie ge¬ nöthigt ward, ſich ſelbſt hinzugeben, um eine Menge kleiner Schulden los zu werden. Und hätteſt Du, fuhr Wilhelm auf, ſie nicht retten können? O ja, verſetzte die Alte, mit Hunger und Noth, mit Kummer und Entbehrung, und darauf war ich niemals eingerichtet.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/161>, abgerufen am 23.11.2024.