Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sie vor zehen Jahren gekannt hatte. Sind
Sie denn nicht die Tochter des Pachters?
fragte ich halb verwirrt. Nein, sagte sie,
ich bin ihre Muhme.

Aber Sie gleichen einander so außeror¬
dentlich, versetzte ich.

Das sagt jedermann, der sie vor zehen
Jahren gekannt hat.

Ich fuhr fort sie verschiedenes zu fragen,
mein Irrthum war mir angenehm, ob ich
ihn gleich schon entdeckt hatte. Ich konnte
mich von dem lebendigen Bilde voriger Glück¬
seeligkeit, das vor mir stand, nicht los reissen.
Das Kind hatte sich indessen von ihr ent¬
fernt, und war Blumen zu suchen nach dem
Teiche gegangen. Sie nahm Abschied, und
eilte dem Kinde nach.

Indessen hatte ich doch erfahren, daß
meine alte Geliebte noch wirklich in dem
Hause ihres Vaters sey, und indem ich ritt,

ſie vor zehen Jahren gekannt hatte. Sind
Sie denn nicht die Tochter des Pachters?
fragte ich halb verwirrt. Nein, ſagte ſie,
ich bin ihre Muhme.

Aber Sie gleichen einander ſo außeror¬
dentlich, verſetzte ich.

Das ſagt jedermann, der ſie vor zehen
Jahren gekannt hat.

Ich fuhr fort ſie verſchiedenes zu fragen,
mein Irrthum war mir angenehm, ob ich
ihn gleich ſchon entdeckt hatte. Ich konnte
mich von dem lebendigen Bilde voriger Glück¬
ſeeligkeit, das vor mir ſtand, nicht los reiſſen.
Das Kind hatte ſich indeſſen von ihr ent¬
fernt, und war Blumen zu ſuchen nach dem
Teiche gegangen. Sie nahm Abſchied, und
eilte dem Kinde nach.

Indeſſen hatte ich doch erfahren, daß
meine alte Geliebte noch wirklich in dem
Hauſe ihres Vaters ſey, und indem ich ritt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0131" n="127"/>
&#x017F;ie vor zehen Jahren gekannt hatte. Sind<lb/>
Sie denn nicht die Tochter des Pachters?<lb/>
fragte ich halb verwirrt. Nein, &#x017F;agte &#x017F;ie,<lb/>
ich bin ihre Muhme.</p><lb/>
            <p>Aber Sie gleichen einander &#x017F;o außeror¬<lb/>
dentlich, ver&#x017F;etzte ich.</p><lb/>
            <p>Das &#x017F;agt jedermann, der &#x017F;ie vor zehen<lb/>
Jahren gekannt hat.</p><lb/>
            <p>Ich fuhr fort &#x017F;ie ver&#x017F;chiedenes zu fragen,<lb/>
mein Irrthum war mir angenehm, ob ich<lb/>
ihn gleich &#x017F;chon entdeckt hatte. Ich konnte<lb/>
mich von dem lebendigen Bilde voriger Glück¬<lb/>
&#x017F;eeligkeit, das vor mir &#x017F;tand, nicht los rei&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Das Kind hatte &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en von ihr ent¬<lb/>
fernt, und war Blumen zu &#x017F;uchen nach dem<lb/>
Teiche gegangen. Sie nahm Ab&#x017F;chied, und<lb/>
eilte dem Kinde nach.</p><lb/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en hatte ich doch erfahren, daß<lb/>
meine alte Geliebte noch wirklich in dem<lb/>
Hau&#x017F;e ihres Vaters &#x017F;ey, und indem ich ritt,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0131] ſie vor zehen Jahren gekannt hatte. Sind Sie denn nicht die Tochter des Pachters? fragte ich halb verwirrt. Nein, ſagte ſie, ich bin ihre Muhme. Aber Sie gleichen einander ſo außeror¬ dentlich, verſetzte ich. Das ſagt jedermann, der ſie vor zehen Jahren gekannt hat. Ich fuhr fort ſie verſchiedenes zu fragen, mein Irrthum war mir angenehm, ob ich ihn gleich ſchon entdeckt hatte. Ich konnte mich von dem lebendigen Bilde voriger Glück¬ ſeeligkeit, das vor mir ſtand, nicht los reiſſen. Das Kind hatte ſich indeſſen von ihr ent¬ fernt, und war Blumen zu ſuchen nach dem Teiche gegangen. Sie nahm Abſchied, und eilte dem Kinde nach. Indeſſen hatte ich doch erfahren, daß meine alte Geliebte noch wirklich in dem Hauſe ihres Vaters ſey, und indem ich ritt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/131
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1796, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre04_1796/131>, abgerufen am 22.11.2024.