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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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habe weder Jugend noch Weichheit genug,
um mich in diesen Charakter zu finden. Nur
eins weiß ich leider: daß Gefühl, das Ophe¬
lien den Kopf verrückt, wird mich nicht ver¬
lassen.

Wir wollen es ja nicht so genau neh¬
men, sagte Wilhelm: denn eigentlich hat mein
Wunsch den Hamlet zu spielen, mich bey al¬
lem Studium des Stücks, aufs Äußerste irre
geführt. Je mehr ich mich in die Rolle stu¬
diere, desto mehr sehe ich, daß in meiner
ganzen Gestalt kein Zug der Physiognomie
ist, wie Shakespear seinen Hamlet aufstellt.
Wenn ich es recht überlege, wie genau in
der Rolle alles zusammen hängt, so getraue
ich mir kaum eine leidliche Wirkung hervor
zu bringen.

Sie treten mit großer Gewissenhaftig¬
keit in Ihre Laufbahn, versetzte Serlo: der
Schauspieler schickt sich in die Rolle wie er

habe weder Jugend noch Weichheit genug,
um mich in dieſen Charakter zu finden. Nur
eins weiß ich leider: daß Gefühl, das Ophe¬
lien den Kopf verrückt, wird mich nicht ver¬
laſſen.

Wir wollen es ja nicht ſo genau neh¬
men, ſagte Wilhelm: denn eigentlich hat mein
Wunſch den Hamlet zu ſpielen, mich bey al¬
lem Studium des Stücks, aufs Äußerſte irre
geführt. Je mehr ich mich in die Rolle ſtu¬
diere, deſto mehr ſehe ich, daß in meiner
ganzen Geſtalt kein Zug der Phyſiognomie
iſt, wie Shakeſpear ſeinen Hamlet aufſtellt.
Wenn ich es recht überlege, wie genau in
der Rolle alles zuſammen hängt, ſo getraue
ich mir kaum eine leidliche Wirkung hervor
zu bringen.

Sie treten mit großer Gewiſſenhaftig¬
keit in Ihre Laufbahn, verſetzte Serlo: der
Schauſpieler ſchickt ſich in die Rolle wie er

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[71/0077] habe weder Jugend noch Weichheit genug, um mich in dieſen Charakter zu finden. Nur eins weiß ich leider: daß Gefühl, das Ophe¬ lien den Kopf verrückt, wird mich nicht ver¬ laſſen. Wir wollen es ja nicht ſo genau neh¬ men, ſagte Wilhelm: denn eigentlich hat mein Wunſch den Hamlet zu ſpielen, mich bey al¬ lem Studium des Stücks, aufs Äußerſte irre geführt. Je mehr ich mich in die Rolle ſtu¬ diere, deſto mehr ſehe ich, daß in meiner ganzen Geſtalt kein Zug der Phyſiognomie iſt, wie Shakeſpear ſeinen Hamlet aufſtellt. Wenn ich es recht überlege, wie genau in der Rolle alles zuſammen hängt, ſo getraue ich mir kaum eine leidliche Wirkung hervor zu bringen. Sie treten mit großer Gewiſſenhaftig¬ keit in Ihre Laufbahn, verſetzte Serlo: der Schauſpieler ſchickt ſich in die Rolle wie er

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/77>, abgerufen am 24.11.2024.