son alles giebt, so giebt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts ge¬ ben. Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur seyn, und was er scheinen will ist lächerlich oder abgeschmackt. Jener soll thun und wirken, dieser soll leisten und schaffen; er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird schon voraus gesetzt, daß in seinem Wesen keine Harmonie sey, noch seyn dürfe, weil er, um sich auf Eine Weise brauchbar zu machen, alles übrige vernachläßigen muß.
An diesem Unterschiede ist nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬ bigkeit der Bürger, sondern die Verfassung der Gesellschaft selbst Schuld; ob sich daran einmal was ändern wird und was sich än¬ dern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken, und wie ich mich selbst
und
ſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts ge¬ ben. Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt lächerlich oder abgeſchmackt. Jener ſoll thun und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen; er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird ſchon voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen, alles übrige vernachläßigen muß.
An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬ bigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran einmal was ändern wird und was ſich än¬ dern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0038"n="32"/>ſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch<lb/>ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts ge¬<lb/>
ben. Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer<lb/>ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt<lb/>
lächerlich oder abgeſchmackt. Jener ſoll thun<lb/>
und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen;<lb/>
er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um<lb/>
brauchbar zu werden, und es wird ſchon<lb/>
voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine<lb/>
Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um<lb/>ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen,<lb/>
alles übrige vernachläßigen muß.</p><lb/><p>An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die<lb/>
Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬<lb/>
bigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung<lb/>
der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran<lb/>
einmal was ändern wird und was ſich än¬<lb/>
dern wird, bekümmert mich wenig; genug,<lb/>
ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an<lb/>
mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[32/0038]
ſon alles giebt, ſo giebt der Bürger durch
ſeine Perſönlichkeit nichts und ſoll nichts ge¬
ben. Jener darf und ſoll ſcheinen; dieſer
ſoll nur ſeyn, und was er ſcheinen will iſt
lächerlich oder abgeſchmackt. Jener ſoll thun
und wirken, dieſer ſoll leiſten und ſchaffen;
er ſoll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um
brauchbar zu werden, und es wird ſchon
voraus geſetzt, daß in ſeinem Weſen keine
Harmonie ſey, noch ſeyn dürfe, weil er, um
ſich auf Eine Weiſe brauchbar zu machen,
alles übrige vernachläßigen muß.
An dieſem Unterſchiede iſt nicht etwa die
Anmaßung der Edelleute und die Nachgie¬
bigkeit der Bürger, ſondern die Verfaſſung
der Geſellſchaft ſelbſt Schuld; ob ſich daran
einmal was ändern wird und was ſich än¬
dern wird, bekümmert mich wenig; genug,
ich habe, wie die Sachen jetzt ſtehen, an
mich ſelbſt zu denken, und wie ich mich ſelbſt
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/38>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.