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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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fort. Es waren die leersten Jahre meines
Lebens. Tagelang von nichts zu reden, kei¬
nen gesunden Gedanken zu haben, und nur
zu schwärmen, das war meine Sache. Nicht
einmal der geliebten Bücher wurde gedacht.
Die Leute, mit denen ich umgeben war, hat¬
ten keine Ahndung von Wissenschaften; es
waren deutsche Hofleute und diese Klasse
hatte damals nicht die mindeste Kultur.

Ein solcher Umgang, sollte man denken,
hätte mich an den Rand des Verderbens
führen müssen. Ich lebte in sinnlicher Mun¬
terkeit nur so hin, ich sammlete mich nicht,
ich betete nicht, ich dachte nicht an mich noch
an Gott; aber ich seh es als eine Führung
an, daß mir keiner von den vielen schönen,
reichen und wohlgekleideten Männern gefiel.
Sie waren liederlich und versteckten es nicht,
das schreckte mich zurück; ihr Gespräch zier¬
ten sie mit Zweydeutigkeiten, das beleidigte

mich

fort. Es waren die leerſten Jahre meines
Lebens. Tagelang von nichts zu reden, kei¬
nen geſunden Gedanken zu haben, und nur
zu ſchwärmen, das war meine Sache. Nicht
einmal der geliebten Bücher wurde gedacht.
Die Leute, mit denen ich umgeben war, hat¬
ten keine Ahndung von Wiſſenſchaften; es
waren deutſche Hofleute und dieſe Klaſſe
hatte damals nicht die mindeſte Kultur.

Ein ſolcher Umgang, ſollte man denken,
hätte mich an den Rand des Verderbens
führen müſſen. Ich lebte in ſinnlicher Mun¬
terkeit nur ſo hin, ich ſammlete mich nicht,
ich betete nicht, ich dachte nicht an mich noch
an Gott; aber ich ſeh es als eine Führung
an, daß mir keiner von den vielen ſchönen,
reichen und wohlgekleideten Männern gefiel.
Sie waren liederlich und verſteckten es nicht,
das ſchreckte mich zurück; ihr Geſpräch zier¬
ten ſie mit Zweydeutigkeiten, das beleidigte

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[224/0230] fort. Es waren die leerſten Jahre meines Lebens. Tagelang von nichts zu reden, kei¬ nen geſunden Gedanken zu haben, und nur zu ſchwärmen, das war meine Sache. Nicht einmal der geliebten Bücher wurde gedacht. Die Leute, mit denen ich umgeben war, hat¬ ten keine Ahndung von Wiſſenſchaften; es waren deutſche Hofleute und dieſe Klaſſe hatte damals nicht die mindeſte Kultur. Ein ſolcher Umgang, ſollte man denken, hätte mich an den Rand des Verderbens führen müſſen. Ich lebte in ſinnlicher Mun¬ terkeit nur ſo hin, ich ſammlete mich nicht, ich betete nicht, ich dachte nicht an mich noch an Gott; aber ich ſeh es als eine Führung an, daß mir keiner von den vielen ſchönen, reichen und wohlgekleideten Männern gefiel. Sie waren liederlich und verſteckten es nicht, das ſchreckte mich zurück; ihr Geſpräch zier¬ ten ſie mit Zweydeutigkeiten, das beleidigte mich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/230>, abgerufen am 28.11.2024.